Jörn Kabisch Angezapft: Trinkt sich wie eine Langspielplatte
Das Trinken in Gesellschaft ist dieser Tage stark eingeschränkt, und das hat auch Einfluss auf den Genuss. Ich habe das bei den Bieren festgestellt, die ich für die Vorbereitung dieser Kolumne aufmachte. Nach ein, zwei Schlucken stellte ich sie wieder weg. Irgendwie schal, uninteressant.
Ich merkte, ich war auf der Suche nach einem Bier, mit dem man sich hinsetzen und allein die Zeit vertreiben kann, so wie man es mit einer Schallplatte macht: Man hört konzentriert zehn oder zwölf hervorragend angeordnete Songs – und dann ist auch gut. Die Flaschen waren hingegen wie anständige Singles, geeignet für ein Mixtape, wenn einige bierinteressierte Menschen zu Gast sind und ein gutes Essen auf dem Tisch steht.
Aber was tun? Sich noch mal auf den Weg in den Bierladen machen? Zu diesen Zeiten? Ich ging in den Keller und griff nach der ältesten und verstaubtesten Flasche, wischte drüber und las: 2013.
Wenn Brauer erzählen, dass Bier fast unbegrenzt altern kann, bin ich regelmäßig skeptisch. Aber mit dieser Flasche Rittmayer Oak Reserve haben sie ein Argument. Es wurde vor der Abfüllung ein Jahr mit Holzchips aus Whiskeyfässern gelagert. Seit 2014 habe ich es im Regal, als Mindesthaltbarkeitsdatum gab das Etikett Ende 2018 an. Als Bierstil: Fränkisch Strong Ale. Mein Urteil: Eine echte Langspielplatte.
Das Bier stammt aus einer Zeit, als der Trend einsetzte, Bier in Fässern reifen zu lassen, die vorher Whiskey, Sherry oder Rum enthielten. Heute ist das üblicher. Damals waren mir die Holztöne oft zu dominant. Ich war gespannt: Wie würde sich das nun entwickelt haben?
Im Glas hatte ich dann ein dunkelrotes Bier, das mich an milden Cognac oder an Rumtopf erinnerte, ganz genau: an den meiner Oma, denn sie legte fast ausschließlich Erdbeeren ein. Von der Kohlensäure war nur noch ein Hauch zu spüren. Und die torfig-holzigen Noten hatten sich zu einem angenehmen Unterton entwickelt, wie ein dezenter Bass. Das war rund, vollmundig und ein Bier, das dazu aufforderte, in allen Facetten geschmeckt zu werden.
Rittmayer, Oak Reserve, 2013, 9 % vol.
Kommt so ein Bier nach vielen Jahren mit Luft in Berührung, dann passiert in kurzer Zeit einiges mit diesen Facetten, das ist noch eine Parallele zur Schallplatte. Weil das Bier oxidiert, wird die Bitterkeit dominanter. Das Oak Reserve hatte eine beim Trinken anschwellende Lakritznote und wurde immer trockener.
Zum letzten Schluck habe ich dann ein Stück Blauschimmelkäse kombiniert, das hat mir das Ende noch einmal sehr erdbeerig werden lassen. Und nach 0,375 Liter war dann auch erst mal gut, sehr gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen