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Archiv-Artikel

Jenseits der Lolas, Lenins und Wunder: „Deutschland, revisited“ im Metropolis Durch die falsche Tür treten

Die hiesigen Filmemacher sind wieder wer. Sie haben Erfolg. Sie machen gute Filme. Sie sind in der Lage, den Goldenen Bär zu gewinnen. Sie locken die Massen in die Kinos mit ihren Lolas, Lenins, Wundern und Schuhen. Da nimmt es sich erstaunlich aus, dass das Metropolis eine zweimonatige Filmreihe mit dem Titel „Deutschland, revisited“ startet. Ausgerechnet das feine und unabhängige Programmkino hängt sich an den Trend?

Ein Blick auf die 22 Filme, die von heute an und bis zum 6. Juli gezeigt werden, zeigt den ganz anderen Blickwinkel, unter dem der „junge deutsche Film“, so der Untertitel des kleinen Festivals, auch betrachtet werden kann. „Es gab in den vergangenen Jahren eine Menge Filme aus Deutschland, die sehr gut waren und nie in die Kinos gekommen sind“, umreißt Christian Buß, warum er und seine Kollegin Birgit Glombitza die Reihe organisiert haben. Sie wollen zeigen was sich abseits des großen Geschäfts getan hat, im Underground.

Das mag erstaunen, wenn man sich die lange Liste anschaut: Ist Dominik Graf, der seinen jüngsten Film Hotte im Paradies persönlich präsentiert, mit seinen 51 Jahren noch Teil des „jungen deutschen Films“? Ist Fatih Akins Kurz und schmerzlos nicht kommerziell erfolgreich gewesen? Ist ein Film, der wie Christian Petzolds Toter Mann für das Fernsehen produziert wurde, tatsächlich Underground? So wie Buß und Glombitza die einzelnen Ausschnitte bundesdeutscher Wirklichkeit zu einem Mosaik zusammenlegen, erschließt sich dieser Zusammenhang sofort. Vorbei sind die Zeiten der Kitschkomödien der 80er und 90er Jahre. „Der deutsche Film arbeitet sich an der Realität ab wie seit langem nicht mehr“, sagt Buß und bringt drei Beispiele, die selbstverständlich auch in „Deutschland revisited“ auftauchen. Da ist zunächst der Migranten-Film, der in Kurz und schmerzlos und Yüksel Yavuz‘ Aprilkinder erst in dieser Form erfunden wurde. Waren „die Ausländer“ vorher nur Staffage, schmückendes Beiwerk oder Problempersonal, haben die Hamburger Regisseure sie zu eigenen, komplexen Charakteren gemacht, genauso Repräsentanten ihrer Community wie Teil der Gesamtgesellschaft – in allen Brüchen und Widersprüchen.

Zum Zweiten ist es der Aufbruch in die Provinz, speziell in die der „fünf neuen Länder“, der bei den Produktionen auffällt. Sei es Rostock in Andreas Dresens Die Polizistin, in der die Protagonistin Familiendramen aufklärt – „Vater, Mutter, Bratpfanne“ wird das unter Kollegen genannt – und sich im Grau der Vorstadt bewegt. Sei es Andreas Kleinerts Wege in die Nacht, in dem Walter (Hilmar Thate), der in der DDR noch Fabrikdirektor war, durch das nächtlich Berlin zieht, um es selbstjustizarisch von allem Übel wie Kinderschrecks oder Rassisten zu befreien.

Und zum Dritten ist es ein neuer Blick auf die Metropolen. Hier rennt keine Lola mehr gehetzt durch Berlin, da gibt sich keine Münchener Schickeria der bayerisch-widerlichen Variante des Hedonismus hin. Stattdessen erlebt der Zuschauer die gescheiterten Ich-AGs, zum Beispiel in Franz Müllers Science Fiction, in dem der Mensch „nicht mehr die kleinstmögliche soziale Einheit ist, sondern die kleinstmögliche ökonomische“, wie Buß das ausdrückt, und in dem er einfach im Raum verloren geht, wenn er durch die falsche Tür tritt.

An diesem Punkt treffen all dieseBeschreibungen zusammen: Das Individuum wird zur psycho-ökonomischen Person, jedes einzelne Werk ist – zumindest lassen fast alle auch diese Lesart zu – ein Abdruck des Neoliberalismus und zeigt dessen Auswirkungen auf den Einzelnen. Selbst der alte Dominik Graf reiht sich da ein mit seinem Hotte im Paradies, dem schmalbrüstigen Luden und mithin Kleinunternehmer, der mit denselben ökonomischen Gegebenheiten kämpfen muss wie der Ladenbesitzer an der Ecke: Wer die Raten nicht mehr bezahlen kann, dem geht die Luft aus. Man muss dem „jungen deutschen Film“ danken, dass er diese alte Wahrheit auf so viele verschiedene Weisen interpretiert.

Eberhard Spohd

„Hotte im Paradies“, Do, 19.30 Uhr, in Anwesenheit von Dominik Graf; „Aprilkinder“: Mo, 17 Uhr; „Kurz und schmerzlos“: Di, 17 Uhr und Mi, 21.15 Uhr; alle Filme im Metropolis