Jenni Zylka Cultural Appreciation: Er, blond, pflegt die Hobbys Raufen und Saufen
Manchmal reicht eine Kleinigkeit, um hin und weg zu sein. Letztens saß ich etwa geduldig in der neuesten Kinoadaption des Nibelungenliedes (in der Version der Fantasy-Autors Wolfgang Hohlbein), um die Eckdaten dieser blutigen Telenovela aus dem 13. Jahrhundert aufzufrischen. Hier sind sie: Der königstreue Waffenmeister Hagen von Tronje liebt Kriemhild, die verfällt aber dem als Drachentöter und Schwerenöter gleichermaßen erfolgreichen Siegfried von Xanten (dem Jannis Niewöhner den Spirit von Kurt Cobain als Lederjacken-Model verleiht). Kriemhilds Bruder (und Hagens Arbeitgeber) König Gunther möchte dagegen unbedingt die Kampf-Walküre Brunhild ehelichen – obwohl jedes Baby merkt, dass Brunhild schon rein vom Temperament her besser zu Siegfried passt. Dieser blonde Ladies Love mit der Schutzschicht aus Drachenblut pflegt die Hobbys Raufen und Saufen, Memme Gunther dagegen kriegt nach einem halben Glas Jever Fun einen Kater und verrenkt sich bereits beim Anziehen der königlichen Boxhandschuhe das Handgelenk.
Das Schicksal nimmt dennoch seinen Lauf. Gunther wickelt mithilfe eines Tricks des gruseligen Elfenkönigs Alberich seine Brunhild um den Finger, doch wenig überraschend stellt sich heraus, dass die beiden wie Öl und Wasser sind. Mit dem draufgängerischen Siegfried unternimmt die Walküre dagegen bald den einen oder anderen Walkürenritt … Der King is not amused, der ob seiner eigenen Edelhaftigkeit dauerfrustrierte Hagen ohnehin nicht, von Siegfrieds Ehefrau Kriemhild ganz zu schweigen.
Absolut überzeugend im Reigen der aus politischen und moralischen Gründen unterdrückten Lüste ist dabei meine neue Freundin, Schildjungfer Brunhild. Sie spricht nämlich im Film nicht. Überhaupt nicht. Eventuell, um sich größtmöglich von der arienschmetternden Walküre des Nazilieblings Wagner abzuheben, teilt sich Brunhild in der von zwei deutschen Regisseuren inszenierten Neuverfilmung, die irgendwann nächstes Jahr auch als Privatfernsehserie erscheinen soll, ausschließlich durch vogelartige Schreie mit. Das beeindruckt nicht nur Siegfried, sondern auch mich. Denn auch wenn sie nicht schreit, guckt Brunhild böse aus den tiefen Kajalaugen, schwingt die langen roten Haare, trägt dazu extravagante, dunkle Gesichtsmasken, und wirkt wie eine schurkige Steampunkbraut, die die Faxen dicke hat. Differenziertere Motive und Erklärungen erübrigen sich.
Die Geschichte ist doch eh bekannt. Zudem kam vor exakt 100 Jahren schon Fritz Langs Nibelungenversion in die deutschen Kinos – als Stummfilm, keiner sang, keiner sprach. Der damals durch Siegfried getötete Drache könnte heute allerdings nicht mal mehr jüngste Zuschauer:innen nachhaltig ängstigen, weil er aussieht wie das Urmeli.
In der neuen Nibelungenvariante ist der Drache – vielleicht weil die „House of the Dragon“-Exemplare und die aus der Kinderfilmreihe „Drachentöten leicht gemacht“ visuell schon die gesamte Bandbreite abdeckten – erst gar nicht zu sehen. Überhaupt finden relativ wenige Kämpfe statt, was mir gut gefällt, denn bei Kampfszenen langweile ich mich und trete zumeist kurz aus. Stattdessen geht es um Intrigen, Liebe, falsch verstandene Ehre und mehr oder weniger suffizienten Geschlechtsverkehr – all das viel interessantere Themen.
Dennoch, das erlebt man als Rückblende, übersieht auch Jannis Niewöhners neuester Siegfried beim Baden im Drachenblut jene von einem Blatt verdeckte, verwundbare Stelle zwischen den Schulterblättern, die ihm später zum Verhängnis wird. In einem langen Artikel auf einer Fremdenverkehrs-Seite der „Nibelungenstadt Worms“ habe ich mal gelesen, dass das rein anatomisch die Stelle am Rücken sei, an die fast kein einziger Mensch ohne fremde Hilfe herankommt. Damals jedenfalls nicht.
Jenni Zylka schreibt über Film.
Heute würde man einfach eine sogenannte „Badebürste mit langem Stiel“ kaufen, gibt’s in jeder Wormser Drogerie. Drachenblutproblem gelöst.
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