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Jeder vierte Azubi bricht abLernen will gelernt sein

Die Abbrecherquote bei Lehrlingen liegt fast bei 25 Prozent. Während jeder zweite Kellner hinschmeißt, ist die Quote bei Elektroniker und Bankangestellten niedrig.

Insgesamt 149.760 Ausbildungsverträge wurden 2011 vorzeitig aufgelöst. Bild: dpa

BERLIN taz | Ob Ostseeküste oder Seenplatte: Mecklenburg-Vorpommern zählt zu den beliebtesten Urlaubsregionen Deutschlands. Weniger beliebt scheinen dagegen die Ausbildungsplätze zu sein, die Hotels und Gaststätten im Nordosten anbieten. Denn in keinem Bundesland werden so viele Ausbildungsverträge vorzeitig aufgelöst wie in Mecklenburg-Vorpommern. Und wenige Lehrlinge brechen häufiger ab als Kellner- oder Kochazubis. Das geht aus Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung für das Jahr 2011 hervor, die in den neuen Berufsbildungsbericht der Bundesregierung einfließen.

Jeder vierte Azubi in Deutschland beendet seine Lehre demnach nicht wie geplant – weil er selbst abbricht, den Ausbildungsbetrieb wechselt oder weil der Betrieb den Vertrag kündigt. In Mecklenburg-Vorpommern ist es jeder Dritte. In der Gastronomie liegt die Quote bundesweit bei rund 50 Prozent, genau wie bei Umzugshelfern oder Wachleuten. Tendenz steigend.

„Wir haben es hier mit Problembranchen zu tun, ihre Ausbildungsqualität lässt zu wünschen übrig“, sagt Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Vorsitzende. Gewerkschafter beklagen sich über unbezahlte Überstunden, raue Umgangsformen und Überforderung der Lehrlinge. So sagt Fabian Scheller, Referent der DGB-Jugend im Nordosten: „In vielen Betrieben werden die Azubis sehr schnell als normale Arbeitskräfte eingesetzt. Ausbilder sind nicht vor Ort.“

Die Arbeitgeber sehen andere Gründe. Viele Jugendliche hätten vor der Ausbildung ein falsches Bild von ihrer künftigen Tätigkeit: „Zum Beruf des Kochs gehören auch Arbeiten, die weniger Spaß machen, zum Beispiel Kartoffeln zu schälen“, sagt Matthias Dettmann vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband in Mecklenburg-Vorpommern.

Schwankende Quote

Seit der Wiedervereinigung schwankt die Abbrecherquote zwischen 20 und 25 Prozent. Ähnlich hoch wie 2011 war der Wert zuletzt 2002. „Die Entwicklung hat unter anderem mit der Lage am Ausbildungsmarkt zu tun“, sagt Alexandra Uhly vom Bundesinstituts für Berufsbildung.

In Zeiten, in denen mehr Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, könnten sich unzufriedene Azubis eher nach Alternativen umsehen. Uhly zufolge werfen viele Betroffene die Ausbildung nicht komplett hin. Fast die Hälfte arbeitet unmittelbar in einem anderen Ausbildungsbetrieb weiter. Und nur jeder Fünfte macht nach der Vertragsauflösung erst mal nichts weiter.

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11 Kommentare

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  • P
    Patrick

    Zuletzt heute früh (ja arbeiten die denn am Sonntag?) in der U-Bahn von zwei ungepflegten, nach Alkoholschweiß müffelnden Handwerkern in Malerkluft und mit Bierdose gehört. Einer, der wohl Stress mit dem Chef oder Vorarbeiter hatte: "Montag ist der Lehrling wieder da, den nehm ich mir dann wieder richtig vor. Da habe ich das Sagen. Das wird wieder ein Spaß..."

     

    Ja, es klingt nach Klischee, ja so sind nicht alle, aber da hätte ich eine Ausbildung sicherlich auch abgebrochen.

     

    Schlechte Bezahlung, der Frust der vollbeschäftigten Arbeitskollegen und eine langsam durchdringende Perspektivlosigkeit. Währenddessen erwartet die Apple-lisierte hochglanzpolierte Mehrheit der Gesellschaft, dass weiterhin junge Menschen "was anständiges" machen und eine Lehre unter diesen Bedingungen absolvieren. Schließlich möchte man ja auch morgen sein Badezimmer neu fliesen lassen können, zu einem niedrigen Preis.

  • IJ
    Ihr Jü

    Die einen müssen sich in jungen Jahren für wenig Geld harten Bedingungen stellen, die anderen haben immer warm und (- was verdienen die in der Bank eigentlich?) andere füttern im Zoo die Raben und sorgen dafür, daß die Affen Unterhaltung haben, ich habe den Verdacht daß die meist schon vom Urgroßvater her das richtige Parteibuch haben - wieso können das nicht auch ältere Arbeitslose machen - für die Affen die Bananen schälen.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Nicht gehandicapte Auszubildende sollten sich ein Beispiel an gehandicapten Auszubildenden nehmen,was das Abrechern einer Ausbildung anbetrifft.

  • S
    sigibold

    Die gewaltigen Unterschiede in der Anzahl der Abbrecher bei verschieden Berufen ist doch nicht verwunderlich. Wer Elektroniker werden will, weis in der Regel was er will. Er(oder auch sie [für die taz]) wird einen guten Schulabschluß haben und den Anforderungen genügen. Nichts gegen Kellner, aber mir scheint das kein erstrebenswerter Beruf für einen jungen Menschen. Wahrscheinlich wird die Lehrstelle erst angenommen worden sein nachdem sich der Probant viele Absagen in seinem Traumberuf geholt hat. Er startet also schon mit gehörigem Frust in den Berufsalltag. Vielleicht von der Tante beim Arbeitsamt mehr oder weniger in die Lehrstelle gepresst verwundert die Abbruchquote wenig. Psychologen sind da kaum hilfreich.

     

    sigibold

  • T
    taurinbaer

    Also spontan würde ich sagen, dass die Abbruchsunterschiede in der Bewerberauswahl begründet liegen: Eine Bank stellt nur Azubis ein, die gute Noten haben. Umzugshelfer als Ausbildungsberuf (SIC!) ist eher was für den Rest, den niemand wollte. Meist mit Grund, die Motivation scheint nicht gegeben zu sein.

     

    Des weiteren würde mich die Korrelation zwischen Abbruchquote und Migrationshintergrund interessieren. Ich nehme (leider) an, es gibt eine.

  • H
    heinzl

    Die zunehmende Verschulung vieler Ausbildungsberufe trägt sicherlich auch zu den hohen Abbrecherquoten bei. Tätigkeiten die früher durch "learning by doing" erlernt wurden werden heute in ein Ausbildungssystem gepresst. Kellner, Gerüstbauer, Lagerarbeiter, Gebäudereiniger, Wachmann, LKW-Fahrer und Umzugshelfer waren früher keine Ausbildungsberufe, sondern konnte auch von praktisch veranlagten jungen Menschen ergriffen werden, die froh waren die Schule hinter sich gelassen zu haben. Wer gesund und robust war konnte schon früh gutes Geld verdienen. Heute muss für eine Ausbildungsvergütung in vielen Berufsgruppen die Arbeit eines Vollbeschäftigten erbracht werden. Dazu kommt der Leerlauf in den Berufschulen. Nach einer frustrierend langen Ausbildung erhält man dann einen neuen, wohlklingen Titel wie "Fachkraft für Lagerlogistik", landet aber trotzdem in der gleichen Lohngruppe wie ungelernte Lagerhelfer.

  • W
    Woderkant

    Sie machen den gleichen Fehler wie die meisten.

    „Lehren will gelernt sein“ Falsch.

    Lehren will gelernt sein.

  • SL
    Stefan L

    Angesichts der teilweise unumgänglichen Arbeitsbedingungen in der Gastronomie wundert mich die hohe Abbrecherquote bei Hotel- und Restaurantfachleuten (salopp: Kellner) nicht im geringsten. Nach Abschluss der Ausbildung wird es auch nicht unbedingt besser.

  • S
    sklaverei

    Mir wird nie in den Kopf gehen, wozu man junge Menschen 3 Jahre lang ausbeuten muss für 3 Euro die Stunde um ihnen so wichtige Dinge beizubringen wie Brot verkaufen, Hotelzimmer putzen etc.

    Meine Lehrzeit war die Hölle, ich habe zwischen 60 und 80 Stunden die Woche in einem Nobelhotel geschuftet, die Azubis sind geschlagen worden, wir habne so wenig Geld bekommen, dass wir gehungert haben und noch froh waren, dass der Chef und manchmal in der Umkleidekabine hat schlafen lassen, so daß man wenigstens zwischen den Schichten noch 4 Stunden Schlaf bekommen hat.

    Ein absolut schwachsinniges System!

  • W
    werner

    Die Lern- und Arbeitsbedingungen inkl. Bezahlung sind in den "Abbrecherberufen" so beschissen, dass viele Azubis die Reissleine ziehen, in einen anderen Beruf wechseln, zurück zur Schule gehen... Die Berufswahl erfolgt vielfach auf Basis falscher Vorstellungen, die Ernüchterung erfolgt dann knallhart und wenn dann noch ausgebildete KollegInnen vor einem verbleib in diesem "Scheissjob" warnen, geht es eben sehr schnell.

    Ein Grossteil des "Fachkräftemangels" ist also hausgemacht: miese Entlohnung, miese Arbeitsbedingungen, hire and fire-Mentalität etc.

    Wer will sich sowas schon ein Leben lang antun? So funktioniert eben der "freie Markt". Daran was zu ändern ist Aufgabe der Arbeitgeber, nicht von Sozialpädagogenj.

  • U
    Unbeständig

    „Bisher werden diese Hilfen erst eingesetzt, wenn schon schlechte Noten in den Berufsschulzeugnissen stehen“, kritisierte Sehrbrock. „Das ist deutlich zu spät.“ - Ich glaube kaum, dass es in der Umzugshelfer- oder Kellnerlehre zum größten Teil an den Schulnoten liegt wenn die Lehre abgebrochen wird.

     

    „Wer weiß, was er will und kann, der trifft auch leichter die Entscheidung für den richtigen Beruf.“ - Vor allem weil 16 - 18 jährige schon Bescheid wissen was sie können und wollen.

     

    Abbrüche der Lehre finde ich völlig normal. In dem Alter kann man sich schon mal vergreifen oder... es war einfach gerade nichts anderes da. Um so wichtiger, dass man möglichst problemfrei zwischen Lehrberufen wechseln kann (soweit sie zumindest annähernd in der gleichen Richtung liegen)