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Archiv-Artikel

■ Jeder Krieg ist pervertierend und verrohend Die Fragestellung ist falsch

betr.: „Erziehung zum Soldaten“ von Jürgen Busche, taz vom 28. 10. 06

Dass Soldaten in Afghanistan „unter Stress“ stehen, ist verharmlosend. Sie befinden sich in einer lebensbedrohlichen und deshalb stark labilisierenden Situation.

Dass Herr Busche, um die bekannten makabren Auswüchse zu verhindern, nach einer „Erziehung der Soldaten“ verlangt, finde ich ebenfalls makaber. Ich dachte, Soldaten würden „ausgebildet“, weil nach meinem Verständnis „Erziehung“ eine Beeinflussung der Persönlichkeit bei Kindern bedeutet. Der „mündige Bürger in Uniform“ wird hier klammheimlich zu Grabe getragen.

Dass die preußische Armee, die Wehrmacht und Ausführungen von Erwin Rommel als Beispiel für „soldatische Erziehung“ (nach dem Motto: Da hat man noch erzogen!) angeführt werden, setzt dem Ganzen die Krone auf. Es wird hier schlicht unterschlagen (ausgeblendet), welche Verbrechen und Gräueltaten an lebenden (!) Menschen, ganz kühl, ganz vernunftgeleitet, logisch durchdacht und mit perfekter Logistik im Zweiten Weltkrieg durchgeführt wurden. Ich möchte Herrn Busche – den ich nicht kenne – keine reaktionäre Gesinnung unterstellen; was ich ihm unterstelle, ist Hilflosigkeit und Angst, Gefühle, die man bezogen auf die Vorfälle in Afghanistan öfters in Artikeln findet. „Wie konnte so was passieren“, „Wie kann man solche Vorfälle verhindern“ sind Fragen, die in allen Zeitungen gestellt werden. Meines Erachtens ist schon die Fragestellung falsch. Die Frage müsste lauten: Wie bringt man junge Männer dazu, ihr Leben für eine Sache in Gefahr zu bringen, in der sie nicht persönlich betroffen sind. Und in diesem Punkt gebe ich Herrn Busche Recht: Es wird so getan, als würde man als eine Art bewaffneter Sozialarbeiter nach Afghanistan ziehen, es wird unterschlagen, dass es in den Krieg geht, vielleicht weil man die Manipulation (Verteidigung der abendländischen Werte etc.) fürchtet, die dann nötig wäre, um diese Männer zu motivieren.

Was jetzt passiert, wenn die Soldaten mit dem tödlichen Ernst konfrontiert sind, ist eine Aktivierung regressiver Mechanismen, es taucht – umgangssprachlich ausgedrückt – ein kindisches, unreifes Verhalten auf. Fachlich gesehen – als Diplompsychologe und Psychoanalytiker erlaube ich mir diese Anmerkung – tauchen präpsychotische Verhaltensweisen auf, in denen der Tod als lächerlich, durch sexistisch/sadistische Rituale gebannt und durch Allmachtsfantasien besiegt erscheint. Diese Fantasien entstehen in der Gruppe und werden je nach Gruppe und Situation gebremst oder gefördert. Das „Gruppen-Ich“ spielt in solchen Momenten die entscheidende Rolle.

Zum Schluss: Ich bin überzeugt, dass man solche Auswüchse nicht verhindern kann, denn nicht der Einzelne ist pervers oder verroht, sondern der Krieg ist pervertierend und verrohend, und zwar jeder Krieg, egal welch „edlen Zielen“ er untergeordnet zu sein scheint. Die stattfindende Regression ist unabhängig von den „hehren Zielen“ und genauso unabhängig von rationalen Überlegungen (siehe z. B. das Lager Guantánamo). IVANO RIGAMONTI, Heidelberg