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Jasmin Ramadan Einfach gesagtInspiriert von wahren Begebenheiten

Meint ihr, das Angebot der Streamingdienste spiegelt die Wirklichkeit oder die Wirklichkeit wird vom Angebot der Streamingdienste zunehmend demoralisiert?“, fragt der Freund und rückt seinen zerfledderten Strohhut zurecht.

„Du meinst Handlung und Charaktere im Sinn von hier … mimetisch?“, fragt die Freundin und wirft Eiswürfel in den roten Burgunder.

„Nachahmung ist aller Laster Anfang!“, sagt die andere Freundin.

„Am Ende ist alles nur noch die Kopie der Kopie der Kopie der Kopie.“

„So wie bei Milchersatzprodukten, jede Woche ’ne neue Tüte.“

„Und dann stehst du reizüberflutet vorm Regal und greifst am Ende als Übersprungshandlung kapitalistisch unterjocht nach dem Teuersten.“

„Nee, also ich meine das Angebot in Form von Kategorien bei zum Beispiel Netflix, die Headlines ändern sich ständig mit dem Lauf der Welt.“

„Die Leute wollen sich fiktional aufbereitet reinziehen, was sie ohnehin beschäftigt?“

„Ich will mich davon ablenken, deshalb gucke ich gern so Irrealromantisches wie: Mein Sommer mit Soundso!“

„Bei Netflix gibt es jetzt: Reiche Leute, die sich schlecht benehmen!“

„Das ist mir zu nah dran!“

„Mir wurde neulich ganz oben angeboten: Düster, intensiv und trostlos.“

„Was sind da die Inhalte?“

„Moralische Standards bei machtpolitischen Handlungsentscheidungen?“

„Nee, eher so Kriminalisten, deren Leben im Eimer ist, die alle Beziehungen verkackt haben, deren einzige Motivation im Leben noch ist, den einen Serienkiller dingfest zu machen, mit dem sie im Grunde eine Art von telepathischer Beziehung haben.“

„Mehr toxisch geht nicht.“

„Warum sehnen sich Menschen nach Trostlosigkeit in der Fiktion?“

„Easy analysiert: Damit das eigene Elend ­weniger trostlos erscheint.“

„Vielleicht geht es auch um den Lerneffekt: Was tut eine Figur, um da wieder rauszukommen, was stärkt die Resilienz.“

„Aber nicht alle können für die Selbstwirksamkeit Serienkiller zur Strecke bringen.“

„Bräuchte man ja auch irgendwie ’ne Lizenz für, oder?“

„Niemand wird dich davon abhalten, einen Serienkiller zu jagen, wenn du sonst nix zu tun hast.“

Foto: Roberta Sant‘anna

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. 2023 ist ihr Roman „Auf Wiedersehen“ bei Weissbooks erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert.In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Glaube, gibt landesweit eher andere Probleme als Serienkiller.“

„Gibt es die Kategorie: Wetter, das aus den Fugen gerät?“

„Das will keiner sehen.“

„Wisst ihr noch Waterworld?“

„War das ein Klimathriller?“

„War da zu viel Wasser oder zu wenig das ­Problem?“

„Kevin Costner ist auch geschieden mittlerweile.“

„Was tut das jetzt zur Sache?“

„Was ist die Sache?“

„Dass kaum jemand mehr das Klima ­bespricht und es nicht mal ’ne eigene Netflix-Kategorie hat.“

„Was wird denn am meisten besprochen?“

„Dass Trump tut, was er tut, weil er im Grunde scharf auf den Friedensnobelpreis ist.“

„Ergibt das Sinn?“

„Es wird auch viel darüber gesprochen, dass alles, was Trump tut, im Grunde bloß seine ­eigene Realityshow sei.“

„Ach so! Na dann.“

„Kennt man doch die Kategorie: Männer, die aufs Ganze gehen!“

„Kaum jemand bespricht das Klima, es hat nicht mal ’ne eigene Netflix-Kategorie“

„True Crime?“

„Politthriller!“

„Politsatire!“

„Dramedy!“

„Dystopie?“

„Weltpolitik.“

„Mit unendlich vielen Statisten.“

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