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Jasmin Ramadan Einfach gesagtIn succo veritas

Ist der Job noch zu haben?“, ruft der alte Herr in einem Frischsaft-Laden in der Innenstadt.

Der junge Typ hinterm Tresen rückt verlegen sein Cap zurecht und sagt: „Ähm, äh, nee, also, ich glaub, ich weiß nicht.“

„Glauben oder wissen, junger Mann?“

„Wissen Sie, ich will Sie nicht … na ja, diskriminieren, aber irgendwie glaub ich, sie passen nicht ins Bewerber:innenprofil, sorry, also, ich mein: Tut mir leid.“

„Ich kann Englisch! Und ich kann sicher auch Säfte machen und solche Stullen da in der Vitrine.“

„Das sind Sandwiches.“

„Das weiß ich auch!“

Der junge Typ zuckt mit den Schultern:

„Ich glaub, das ist hier trotzdem nichts für Sie!“

„Wieso nicht?! Da hängt ja nun ein Riesen-Schild im Fenster, dass ihr Mitarbeiter sucht und da steht geschrieben: männlich/weiblich/divers!“

„Und Sie denken, mit divers sind Sie gemeint?“

„Unfug, du Jungspund, ich weiß selber, dass divers geschlechtslos bedeutet, aber da steht nix von Altersbegrenzung!“

„Divers bedeutet nicht geschlechtslos.“

„Dann weiß ich eben nicht en détail, was das nu heißt, aber ich weiß, was ein Saft ist, oder meinetwegen: Juice!“

„Sie müssten auch die Geschirrspülmaschine ein- und ausräumen!“

„Und glaubst du Halbstarker, das hat immer bloß meine Frau gemacht?!“

„Hat sie?“

„Tut nichts zur Sache, wenn ihr mir hier keine reguläre Chance gebt, ist das Altersdiskriminierung und das könnt’ich zur Anzeige bringen.“

„Sie wollen zur Polizei, um hier zu arbeiten, ey, ehrlich, so geil ist der Job nicht!“

„Ich will das Recht haben, zu arbeiten wo ich will, ob ich nun über achtzig bin oder nicht!“

„Wow, echt? Respekt!“

„Und weißt du, was man in Amerika mit über achtzig wird, Jungchen?“

„Country Star?“

„Präsident!“

„Stimmt, yeah! Man kann da sogar kriminell und alt sein und Präsident werden, da kann das Fucking Jobcenter hier sich mal ’ne Scheibe von nehmen!“

„Apropos Job, ich lass mal meinen Lebenslauf da.“

Er zückt eine Mappe und überreicht sie.

„Ok, hmhmhm, wow, sie sind Ingenieur und waren el Oberchefboss, ja, okay, ich würd’sie einstellen, aber ich bin ja bloß Leon.“

„Dann hol doch mal den Chef!“

„Das ist Gülay, sie ist hinten im Büro, ich schreib ihr ’ne Whats-App!“

Gülay kommt nach vorn und grinst:

„Warum wollen Sie bei uns arbeiten?“

„Ich will mal was ganz Neues machen!“

„Warum bei uns?“

„Warum nicht?“

Foto: Roberta Sant‘anna

„Na ja, … ähm.“

„Denken Sie mal groß, Mädchen! Sie verkaufen Säfte aus Gemüse und Obst, das ist gesund und wir Älteren müssen uns gesund ernähren!“

„Und das unterscheidet Sie vom Zielpublikum, die jungen Leute von heute wollen sich gesund ernähren!“

„Und ich will hier anfangen, junge Dame!“

„Mir gefällt aber ihr Ton nicht, und deshalb wird das nix!“

„So ein Saftladen, ich schick mal das Gesundheitsamt vorbei, da arbeitet mein Schwiegersohn in leitender Position!“

„Machen Sie das, wir sind hier astrein und verarbeiten nur Frisches!“

„Na, die Metapher hab ich verstanden!“

„Welche Metapher?!“

Leon ruft strahlend: „Bei den Bananen nehmen wir auch die alten, die sind süßer, aber wir schneiden vorher die faulen Stellen raus!“

„Jetzt reicht es, ich muss mich nicht länger beleidigen lassen, von so jungem Gemüse!“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman „Auf Wiedersehen“ ist bei Weissbooks erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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