Jasmin Ramadan Einfach gesagt: Das Gute ist ein Golden Retriever
Oh nein, jetzt nicht auch noch der Dalai Lama“, seufzt ein mittelalter Typ am Morgen betrübt im Regen unter der Markise vorm Café. Kopfschüttelnd starrt er auf sein Telefon und rührt in der leeren Cappuccino-Tasse.
„Hat der jetzt auch noch einen Krieg angezettelt?“, fragt eine ältere Dame und pult eine Physalis aus der Schale.
„Kindesmissbrauch, so gruselig, man mag gar nicht drüber reden.“
Die Frau sagt: „Auf die Unmoral und Abgründe der Religionsvertreter scheint wirklich Verlass! Und mystische Regelwerke braucht doch ohnehin kein Mensch mehr, jetzt wo es das Internet gibt!“
„Sie meinen als Welterklärungsübermedium?“
„Na ja, da findet doch nun jeder Verzweifelte irgendwelche fantastischen Antworten ohne Beweise!“
„Aber geht es bei Religionen nicht auch um das Gute im Menschen?“
„Das Gute?“
Sie zieht sich den Hut zurecht und fährt fort: „Was soll das sein, junger Mann?“
„Na, das Gute ist das Beständige, etwas, das positive Ordnung schafft und mich verlässlich erfreut, gar beglückt, etwas, das sich nie ändert!“
„Sind Sie von einem anderen Stern oder ein Scheidungskind?“
„Was tut denn die Beziehung meiner Eltern zur Sache?“
„Sind Sie?“
„Ja.“
„Was war das Gute für Sie, als Sie noch ein Kind waren?“
„Michael Jackson, der hatte so eine Aura der Unschuld. Und immer dieses selige Lächeln, ich dachte mit elf Jahren, das muss Göttlichkeit sein.“
„Und dann kam es doch bloß vom Propofol!“
„Seine Scheinheiligkeit hat meine Kinderseele zu guter Letzt vollkommen überstrapaziert. Dann auch noch Bill Cosby. Meine imaginierte Welt war ein für alle Mal erschüttert. Ich wollte doch einfach nur glauben, dass es wirklich gute Menschen gibt.“
„Aber das Gute, Sie Träumer, liegt ja nie in der Ikone, sondern immer in der Fiktion.“
„Aber was ist das real Gute und wo kann ich es finden?“
„Sie könnten doch einfach selber ein guter Mensch sein.“
„Aber woher weiß ich, dass ich ein guter Mensch bin?“
„Na, wenn Sie für sich wussten, auf welche Weise der Dalai Lama gut war, Michael Jackson und Bill Cosby, dann könnten Sie doch einfach so sein, wie sie sich vorgestellt haben, dass diese Leute waren.“
„Aber ich hab weder Geld noch Macht.“
„Was ist mit Malala oder Greta Thunberg?“
„Ach, die werden ja auch älter, vielleicht desillusioniert, dann verlieren die ihre Ideale, tun Unüberlegtes, verraten ihre Träume, werden rechtskonservativ, zumindest selbstherrlich, gebrochen, geldgierig. Auf welche Art auch immer: Ich befürchte, sie würden mich auch enttäuschen.“
„Das Gute bedeutet also, niemals enttäuscht zu werden?“
„Ja, das wahrhaftig Gute muss immer gut bleiben, immer erfreulich, es wird nie in etwas Böses kippen, das Böse darf nicht mal durchschimmern!“
„Vielleicht sollten Sie sich nicht so sehr auf Menschen fixieren.“
„Worauf dann?“
„Golden Retriever?“
„Dann ist das Gute quasi ein Golden Retriever?“
„Nicht nur quasi, sondern ultimativ.“
„Wenn Gott also das ultimativ Gute ist, müsste Gott intellektuell also eine Art Golden Retriever sein!“
„Und das würde doch vieles erklären.“
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