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Jasmin Ramadan Einfach gesagtStell‘ Dir vor, es ist Krieg

Foto: Roberta Sant‘anna

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta-Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-­Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

Hast du jetzt das Spiel da gelöscht, das mit Töten und Blut?“, fragt die Mutter ihren vorpubertären Sohn beim Eisessen.

„Ja, hab ich doch gesagt, ich hab jetzt nur noch das mit den Ninjas, da kämpfen die nur so und es macht Bäm!“

„Das ist aber auch mit Tod dann“, sagt sein jüngerer Bruder.

„Ja, aber anders, du hast voll keine Ahnung!“

Der Kleine fragt:

„Mama, was ist der Unterschied von Tod mit Blut und Tod ohne Blut?“

„Ähm … äh …“

„Da gibt es keinen“, mischt sich eine ältere Dame ein, „Tod ist Tod, ohne Wenn und Aber.“

„Und was bedeutet tot sein?“, fragt der Kleine, und die ältere Dame setzt an:

„Das bedeutet, das Leben ist für immer vorbei…“

„Jetzt hören sie doch auf, meinem Kind Angst zu machen, das kann er doch noch gar nicht erfassen.“

„Ich schon“, sagt der ältere Sohn, „und ich weiß den Unterschied zwischen Videospiel und Leben in echt, deshalb ist das voll gemein, dass ich die anderen Spiele nicht mehr spielen darf.“

„Da werden Menschen überfahren!“, ruft die Mutter, „von dir, Friedrich, von dir selbst!“

„Aber das sind doch nur animierte Menschen, also nur Daten und voll gar keine Menschen, Mama, ich würde doch nicht in echt Menschen überfahren.“

„Du hast ja auch gar kein Auto“, sagt der Kleinere und die Mutter sagt:

„Ich verstehe einfach nicht, was der Spaß daran ist, überhaupt jemanden zu killen in so einem Spiel? Wozu ist das gut für dich?“

„Oh Mann, ey, Mama, es ist doch nur ein Spiel, Fantasy, Mama!“

„Nichts ist nur ein Spiel“, mischt sich ein junger Typ ein, „Gewalt ist real, und in Europa ist ein realer Krieg!“

„Hä?!“, ruft der Junge, „was hat denn der Krieg mit mir zu tun? Ist doch nicht meine Schuld!“

„Die Verharmlosung von Gewalt an Mensch und Natur ist der Grundstein für jeglichen Scheiß und Krieg auf der Welt, alle Soldaten waren mal kleine Jungs, denen man nicht klar gemacht hat, dass sie ihren Trieb in der Richtung verwässern sollten!“, sagt der Typ.

„Was ist Krieg und Trieb, Mama?“, fragt der Kleine.

„Oh Mann, ey! Ich will hier nur in Ruhe außerhalb der eigenen Wände Eis essen, jetzt wo es endlich wieder geht!!!“, brüllt die Mutter und wirft dem jungen Typen ihr Eis ins Gesicht.

Der springt auf und ruft:

„Sie sind ja völlig durchgeknallt!!“

„Ey, voll cool Mama, wie so‘n Ninja-Stern, voll getroffen, Bäm!“, ruft der Große.

Die Mutter fummelt Desinfektionstücher aus ihrer Tasche, wischt dem Typen im Gesicht rum und stammelt:

„Oh Gott, das tut mir so leid, ich weiß nicht, was mit mir los ist.“

„Was ist Gott, Mama?“, fragt der Kleine und die ältere Dame sagt:

„Gott ist eine abstrakte Idee, um die Menschen von eigener Verantwortung frei zu sprechen und sie Regeln zu unterwerfen, die einem Herrschaftssystem dienen.“

„Ich verstehe einfach nicht, was der Spaß daran ist, überhaupt jemanden zu killen in so einem Spiel. Wozu ist das gut für dich?“

Der kleine Junge sagt:

„Das versteh ich nicht.“

Sein großer Bruder sagt:

„Gott ist der Boss und hat Macht über alles, wenn man das glaubt!“

„So wie der russische Präsident?“

„So ähnlich, nur in nett und cool!“

„Hat Gott denn Waffen?“

„Nee, natürlich nicht, weil es ihn ja gar nicht gibt!“

Der kleine Bruder strahlt und ruft voller Begeisterung: „So wie alles in deinen Videospielen!“

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