Jasmin RamadanEinfach gesagt: Red Pepper on Mars
Tach“, sagt der Herr mit dem hüftlangen grauen Haar auf dem Wochenmarkt. „Bitte alles an roter Paprika, was Sie da so haben.“
„Das geht aber nicht alles in Ihren Jutebeutel“, sagt die Frau hinterm Stand.
„Ich habe heut’meinen Überlebensbeutel dabei!“, sagt er stolz und reicht ihr einen Armeerucksack.
„Wo haben Sie den geklaut?“
„Ist meiner, von früher.“
„Hätte gedacht, Sie sind so ein reiner Pazifistenmensch.“
„Ich war früher ein anderer, auf einem anderen Stern, so wie wir alle, aber das Equipment der Militanten ist immer noch das beste.“
„Da passt immerhin kiloweise Paprika rein. Aber was wollen Sie mit so viel Paprika?“
„Bestens überleben! Kennen Sie nicht David Bowie, gute Frau?“
„Aber der war doch kein Koch.“
„Aber ein sehr talentierter Heroinabhängiger. Er überstand seine Sucht und Berlin über Jahre, indem er sich nur von roter Paprika und Milch ernährte.“
„Wer sagt das?“
„Mein Ex-Schwager war damals Barkeeper in Bowies Stammkneipe.“
„Sind Sie denn heroinabhängig?“
„Ich bevorzuge körpereigene Drogen, aber ich will mein Immunsystem maximal stabilisieren, und was gut mit Heroin geht, wird auch anderes ausbalancieren – in dieser Zeit permanenter gesundheitlicher Bedrohung. Was tun Sie denn für ihre Gesundheit, gute Frau?“
„Jeden Abend ’ne schöne Flasche Wein und ein paar Zigarettchen, dabei mache ich mir dann gesunde Gedanken.“
„Wissen Sie, wie viele Menschen in der BRD jährlich durch das Rauchen sterben?“
„Nein.“
„Sechsstellig, mindestens, da kann Corona einpacken!“
Der Mann, der eineinhalb Meter hinter ihm steht, ruft:„Jetzt hör doch auf, Todesursachen gegeneinander auszuspielen, du Alleswisser, das nützt nix, und der ganze Ernährungsquatsch nützt auch nix, wir sitzen in einer Riesenscheiße und so wird es bleiben!“
Der Paprikamann tippt sich mit großer Geste mehrmals an den Kopf: „Panikmacher wie Sie brauchen wir nicht! Man kann immer was tun!“
„Was denn?! Auf den Mars auswandern?!“
„Sich gut ernähren ist die halbe Miete hier auf Erden! Das hilft auch gegen Aggression!!“
„Ach was?! Sie glauben doch nicht im Ernst, dass sie mit roter Paprika irgendwas ändern, oder meinetwegen Kurkuma! Oder Beeren! Wer anfängt, so zu denken, denkt gar nicht mehr, und dann ist auf einmal ihre Ehe kaputt.“
„Wovon reden Sie?“
„Von Ersatzhandlung.“
„Wer hat was ersetzt?“
„Meine Frau ihre Selbstreflexion mit Ernährungsweisheiten und dann mich mit ihrem Scheißernährungscoach!“
„Aber nur, weil Sie einsam sind, dürfen Sie nicht mich statt ihre Frau anschreien!“
Die Marktfrau verschränkt die Arme und sagt: „Sie essen Ihre Paprika doch wohl auch nicht in Gesellschaft einer Frau, oder?“
„Ich brauch’keine Frauen mehr“, sagt der Herr mit dem hüftlangen grauen Haar, „damit bin ich seit 95 durch!“
„Warum?“
„Die waren nicht gut für meine Gesundheit.“
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. Sie war für den diesjährigen Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
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