Jasmin Ramadan Einfach gesagt: Spätestens seit Alice Weidel ist klar: Politisch ist Liebe die Antwort auf nichts
„Alice Weidel ist ja eine von uns, dabei aber superrechts und mit ’ner voll Nicht-Biodeutschen liiert – ist das nicht so, als würde jemand von der Tierschutzpartei in Nerzbettwäsche schlafen?!“ Die drei jungen Frauen sitzen mit verschränkten Armen in der U2 und trinken Estrella-Bier.
„Gibt es Nerzbettwäsche? Ist ja eklig.“
„Und bestimmt zu warm.“
„Jetzt lasst mal zum Thema zurück. Also findet ihr, dass man das Politische vom Privaten trennen darf?“
„Du meinst, würde Robert Habeck Zwölfzylinder fahren, wäre er nicht mehr glaubwürdig?“
„Natürlich nicht, aber wer in der Politik ist schon glaubwürdig?“
„Ja, vor allem die ganzen konservativen und rassistischen Homosexuellen neuerdings.“
„Aber das zeigt doch eigentlich, dass wir in einer absolut fortschrittlichen, freien Gesellschaft leben.“
„Stimmt, früher musstest du dann irgendwie links sein und dich in Künstlerszenen zurechtfinden, auch wenn das null dein Ding war. Weil du nur da akzeptiert wurdest.“
„Stimmt, die armen rechtskonservativen Schwestern aus anderen Zeiten!“
„Die hatten aber oft ihre konservative Scheinidentität mit Kindern, Golden Retriever und Vorstadthäuschen. Zumindest da kamen sie auf ihre Kosten.“
„Aber die mussten mit ihren Gatten bumsen!“
„Darauf haben die Heterofrauen auch oft null Bock!“
„So sehr ich sie hasse, Weidel bleibt wenigstens auf allen Ebenen ihren Neigungen treu. Was kann die dafür, dass sie Bock auf exotische Frauen hat? Ist doch auch nicht anders als bei Dieter Bohlen und Boris Becker!“
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
„Beim Bohlen denk ich immer, wenn der nicht so auf dunkle Frauen steh’n würde, würd’der bestimmt nazimäßig rumprollen.“
„Die Weidel kriegt das ziemlich gut unter einen Hut.“
„Aber prollig ist die jetzt nicht.“
„Meint ihr, die ist intelligent?“
„Die sieht zumindest so aus.“
„Wegen der Brille oder was?“
„Dumm ist, wer Dummes tut.“
„Heutzutage ist eben alles möglich.“
„Ist doch schön.“
„Schöne Scheiße, wenn Integrität nix mehr zählt.“
Wir sind so frei. Dank unserer freien Gesellschaft wissen wir, was sowieso klar war: Niemand ist ein besserer Mensch. Homosexuelle und Frauen können zumindest vereinzelt in allen Parteien Karriere machen und müssen dafür nicht mal charismatisch sein.
Man kann religiös sein, ohne an Gott zu glauben, Nazi sein, ohne ein Nazi sein zu wollen, es gibt Juden in der AfD. Der Mensch wägt immerzu ab, um seine Widersprüche in Einklang zu bringen.
Ich kenne niemanden, der dem Programm einer Partei zu hundert Prozent zustimmt – habe aber nur einen Freund, der nie wählen geht. Seine Stimme gibt man nämlich zu hundert Prozent ab, argumentiert mein Freund, der Nichtwähler.
Einige behaupten, die nicht abgegebenen Stimmen bekommt dann irgendwie auch Alice Weidel. Aber niemand kann das beweisen. Das Private ist politisch. Fast jede Scheißhandlung ist es, wenn man sie kausal weiterdenkt. Es gibt eine Partei, die sich Liebe nennt. Wunderbar: Liebe! Der kleinste gemeinsame Nenner fast aller Menschen.
Aber spätestens seit Alice Weidel ist klar: Politisch ist Liebe leider die Antwort auf nichts.
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