Jasmin Ramadan Einfach gesagt: Irgendwas mit H
Wisst ihr noch, die Türkin bei uns im Betrieb, die nie die Käsebrote in der Kantine gegessen hat, weil die meinte, da haben die Damen hinterm Tresen mit den Wurstdaumen draufgefasst, die hat sich daran gestört, dass die sich zwischendurch nicht die Hände gewaschen haben“, sagte der ältere Herr mit schleppender Raucherstimme. Die vier Rentner saßen im Bahnhofscafé am Nebentisch bei Zervelatwurst-Schippen, Streuselkuchen und Filterkaffee und einer sagte: „Ja, stimmt, die Frau H…, ach, ich erinnere mich nicht an den Namen, fand den damals schon so schwer auszusprechen. Ja, da hat die sich da ein bisschen sehr angestellt, aber ’n Aufstand hat die deswegen auch nicht gemacht.“
„Nee, die war ganz bescheiden und anständig und hat sich ihr Essen immer in einer Tupperdose mitgebracht, damit das auch alles koscher war. Und ohne Knoblauch, der Kollegen wegen.“
„Koscher sagen doch die Juden dazu. Im Islam heißt das irgendwas mit H, glaub ich. Oder F?“„Ich komm nicht drauf, das war auf jeden Fall ’ne Nette, Zurückgenommene.“
„Ja, sie war was Besonderes, dankbar, dass sie in Deutschland sein durfte, das kann man ja nicht von allen ihrer Art behaupten.“
„Nee! Sie hatte aber auch Ehrgeiz, eine der ersten im Betrieb, die nicht in der Putzkolonne gearbeitet hat – und die hatte auch nur ein einziges Kind, eine Tochter.“
„Das Mädel hat sogar Abitur gemacht und ist Anwältin geworden oder Ärztin, ich weiß das gar nicht mehr so genau.“
„Aber Frau H…, na, wie hieß die denn, Mensch Ulla, du erinnerst dich doch immer so gut an Namen.“
„Ja, aber der war so übertürkisch mit ü und i in einer Reihe, glaub ich.“
„Und der Vorname?“
„Nach dem haben wir nie nachgefragt, die wollte wohl auch nicht geduzt werden, das war irgendwie klar, die wollte nicht so richtig dazugehören, die wollte sich abgrenzen von uns.“
„Sich nicht aufdrängen.“
„Ja, die hat ja auch immer einen Platz dazwischen frei gelassen, wenn die sich mal zu uns an den Tisch gesetzt hat.“
„Und wenn wir uns unterhalten haben, hat sie immer genau zugehört, sich aber nie lang in Themen eingemischt, wo sie einfach nicht genug Ahnung hatte. Also, so deutsche Themen, sach ich jetzt mal.“
„Ja, die hat dann nicht weiter was dazu gesagt, wenn man ihr da versucht hat, was zu erklären über Deutschland.“
„Die hat dann akzeptiert, dass das nicht ihre Baustelle war.“
„Die war aber sowieso lieber so für sich.“
„Vielleicht kommt sie deshalb auch nie zum Sommerfest für Ehemalige.“
„Stimmt, da ist die nie.“
„Eigentlich unhöflich.“
„Deshalb haben wir auch ihren Namen vergessen.“
„Ja, irgendwann verblasst alles, wo nichts Neues nachkommt.“
„Ob die jetzt wohl einsam zu Hause sitzt?“
„Du meinst jetzt gerade?“
„Nö, ich mein so ganz im Allgemeinen, tagein, tagaus. Weil das war ja so eine, die hat nie richtig Anschluss gefunden.“
„Ja, weil die so bescheiden war.“
„Die wusste, wo ihr Platz im Betrieb ist.“
„Und im Leben.“
„Eine Frau, die einem irgendwie im Gedächtnis geblieben ist, aber man weiß nicht, warum.“
„Stimmt.“
„Ja.“
„Kann man so sagen.“
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
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