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Jasmin RamadanEinfach gesagtHeimisch fühlen kann ich mich auch woanders

Foto: Roberta Sant'anna

Heimische Früchte klingt irgendwie faschomäßig, das Getränk kommt mir nicht in den Korb“ sagte die Frau im Supermarkt auf St. Pauli.

„Ich glaub, das ist eher so umweltschonend gemeint und nicht nazimäßig, also wegen der Transportwege und der Saison“, sagte ihr Teenager-Sohn.

„Kann schon sein, aber warum nennen die das dann nicht gleich regionale Früchte, heimisch! Da wollen die doch Kasse mit der Stimmung hier in Deutschland machen.“

„Ist doch kein Drama, Mama, wenn das das Problem wär’, das bisschen Heimat im Tetrapak kann man doch aushalten.“

„Naja, das Tetrapak ist ja schon eine Institution und so ein Saft steht dann identitätsstiftend auf dem Frühstücks­tisch.“

„Oder auf dem WG-Tisch“, sagte der Sohn.

„Ja, da, wo der Tetrapak steht, da fühlt man sich zu Hause – und wenn da dann immer dieses ‚Heimat‘oder ‚heimisch‘drauf prangt, dann prägt sich das ein, als wäre der Begriff unumstritten.“

„Stimmt, Sprache strukturiert die Welt und im Kleinen fängt es an!“, mischte sich eine Frau ein, die ein Sixpack Freelax in ihren Wagen stellte.

„Meinen Sie echt, die Werbefuzzis haben an ihrem langen Tisch gesessen und explizit darauf spekuliert, dass die rechte Stimmung den Verkauf von Saft ankurbeln könnte?“ Fragte der Sohn die Frau.

„Vielleicht eher hinten rum – so von wegen: Lass mal die Leute in ihrem neuen Wir-Gefühl, das in Deutschland wieder sein darf seit der WM 2006, abholen und dann machen wir so ’ne Umweltnummer draus. Biologisch korrekt geht doch immer.“

„Ach, diese ganze Diskussion zum Heimatbegriff ist doch längst ein alter Hut, gab es jetzt mindestens zehn Sachbücher zu und nun steht es eben auf dem Apfel-Holunder-Saft“, bemerkte ein Herr im gelben Regenmantel.

„Ach ja? Ich weiß noch immer nicht, was das sein soll? Heimat! Heimisch fühlen kann ich mich auch woanders, das muss nicht da sein, wo ich aus meiner Mutter gefallen bin.“

Der Heimatbegriff wurde zurück erkämpft und wabert nun überall. Vielleicht wollten gewisse Deutsche ihn im Diskurs nicht einfach so den neuen Deutschen überlassen – also denen, die manchmal sogar zwei Pässe haben und darauf bestehen, sich in zwei Ländern heimisch zu fühlen. Ich erinnere mich daran, dass das Thema Herkunft und Identität zuerst von türkischen Freundinnen besprochen wurde – in den Neunzigern schon.

Deutschland lässt sich noch immer nicht mit einem positiv besetzten Heimatbegriff verbinden. Es schwingt immer was von territorialer und kultureller Abgrenzung, schlechten Kampagnen (Du bist Deutschland), Kaffeekränzchen und selbstmitleidig nationalistischem Weltschmerz mit. Die konservativen Intellektuellen haben sich sehr bemüht, das zu variieren, aber vielleicht ging es – so wie beim Obstsaft – auch nur darum, ein paar Mark mehr mit etwas Neuem zu machen.

Der alte Begriff wurde aufgemotzt, weil alte Werte wieder etwas zählen dürfen sollen, ohne dass daraus gleich komplexe Politik wird. Aber er bleibt einfach freudlos und führt zu nichts – so wie die deutsche Flagge, die jemand an seinem Balkongeländer befestigt hat.

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta-Verlag erschienen. In der taz schreibt sie im Zwei-Wochen-Takt über fragwürdige Aussagen.

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