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Jan-Paul Koopmann SpeckgürtelpunksHauswirtschaft im Märchenland

Foto: privat

Ich hatte ein Computerspiel in der Post und weiß nicht, warum. Ein Versehen vielleicht oder ein anonymes Geschenk – schlimmstenfalls eine im Suff aufgegebene Vorbestellung aus dem letzten Jahr. Völlig unmöglich ist das nicht, denn wie ich inzwischen recherchiert habe, ist das Spiel gerade erst erschienen.

Es heißt „Tales Of The Shire“ und handelt eigentlich von nichts. Man spielt einen Hobbit aus Tolkiens Mittelerde und kocht irgendwelche Sachen. Zwischendurch geht man auf den Markt oder in die Kneipe oder aber in den Garten, um weitere Zutaten für noch mehr Kochen anzubauen. „Cozy Game“ nennt man so was, hier mit Herr-der-Ringe-Einschlag.

Ich verstehe total, warum Menschen in meinem Alter solche Spiele spielen. Und ich kann auch nachvollziehen, warum dieses spezielle hier laut Kundenrezensionen offenbar viele enttäuscht hat: vor allem wegen einer übersteigerten Erwartungshaltung nämlich. Und sogar die kann ich verstehen. Nur mich selbst nicht so richtig.

Denn ich wohne ja gar nicht mehr in einer garten- und ruhelosen Großstadtwohnung, sondern draußen auf dem Land. Und viel von dem, was die Spieleindustrie als entschleunigendes Gegenprogramm verkauft, ist hier draußen so reales wie lästiges Pflichtprogramm. Während ich auf dem Sofa sitze und mein digitales Hobbit-Alter-Ego Rhabarber sähen lasse, vertrocknet mir offline das Hochbeet. Anstelle der verfallenen Hobbit-Höhle könnte ich mein eigenes Haus renovieren und echten Freun­d:in­nen Stew kochen, statt im Spiel die Hobbit-Nachbarschaft dazu einzuladen.

Diese Erkenntnis kam nicht sofort, aber doch schlagartig. Als sich nämlich die Kinder dazu gesetzt haben und meinten, dass ich im Pixelwald Beeren pflücken solle, um der Hobbitin aus der Dorfkneipe Pfannkuchen zu backen.

„Schluss“, hab ich da gedacht, „wir machen jetzt echte Pfannkuchen und laden jemanden dazu ein.“ Stattdessen sind wir dann zwar nur ins Freibad gefahren, aber der Gedanke blieb trotzdem hängen: vielleicht doch nochmal zu versuchen, ein bisschen von dieser magischen Lebensqualität rüberzuholen in den Alltag.

Nun muss ich dazu sagen, dass ich eigentlich eine extreme Abneigung gegen Entfremdungsprosa hege und vor allem gegen diese hilflosen Versuche, der kalten, verwalteten Welt mit Tradition und Schinderei irgendwas vermeintlich Lebendiges abzuringen. Von Öko-Nazis ganz zu schweigen. Ich gehe Menschen aus dem Weg, die zu viel über selbstgemachte Marmelade reden.

Jan-Paul Koopmann ist raus aus der Stadt und lebt jetzt im Bremer Hinterland.

Trotzdem: Seit einer Woche suche ich im Haushalt jedenfalls nach dem Auenland. Beim Aufsammeln der Falläpfel etwa und beim Tomatengießen. Beim Ausbessern der Fensterlaibungen auch. Und wenn dieser Text hier gleich fertig ist, werde ich noch ein Rhabarber-Chutney ansetzen, auf das mich die Kocherei in der Spielkonsole gebracht hat. Lustigerweise funktioniert es sogar. Ich fühle mich wohler, fast schon gut – wegen eines Spiels, das ich nach eineinhalb Stunden schon wieder aufgegeben habe.

Ganz neu ist diese Erfahrung übrigens nicht. Das Dreieck zwischen Computerspielen, Welterfahrung und mir selbst ist ein sonderbares Terrain, mit vielen Irrwegen und vielen Sackgassen, aber manchmal finde ich schon was darin. Vor ein paar Jahren habe ich zum Beispiel sehr viel „Zelda“ gespielt und beim Rennen durchs offene, weite Computerland meinen Blick für die echte Landschaft geschärft. Bis heute erwischt mich beim Anblick bestimmter Baumreihen der Gedanke, dass bei Zelda an solchen Stellen was versteckt wäre.

Seit einer Woche suche ich im Haushalt nachdem Auenland

Vielleicht lässt sich gerade über die Simulation ein Weg zur Natur finden, der keinen Umweg über Blut und Boden macht. Schön wär’s ja.

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