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Jan-Paul Koopmann SpeckgürtelpunksFrüher war es besser, früher war ich nie krank

Foto: privat

Das Sein verstimmt das Bewusstsein“ steht auf einem Aufkleber, den mir mein Vater hinterlassen hat. Es ist der lustigste in einer ganzen Galerie von Spontisprüchen, die sich in den unrenovierten Nischen, Dach- und Kellerräumen meines Elternhauses verbirgt. „Ewig währt am längsten“ klebt zum Beispiel oben an einem Sicherungskasten. Der Warnhinweis „Hier hat ein Student nach Essen gesucht“ ließ sich entweder auf Müllcontainer kleben (politisch) oder auf Klodeckel (lustig). Bei uns hat er es nur an die Rückwand eines Schranks geschafft, und ich weiß auch nicht, wie es dazu kam.

Aber zurück zum Bewusstsein: Meins ist gerade sogar sehr verstimmt. Nicht nur wegen der Weltlage, sondern auch, weil ich krank bin. Ich schreibe diesen Text im Stehen, weil ich erstens nicht sitzen darf, aber zweitens im Liegen nicht schreiben kann. Das Problem an der Sache ist nun drittens, dass ich eigentlich auch nicht stehe, sondern recht wacklig auf den Beinen bin.

So laufe und liege ich also rum und denke mich zwischendurch von Satz zu Satz. Aber – und das ist der Punkt von wegen Bewusstsein – man kreist doch sehr um den eigenen Kram in solchen Zeiten. Eben dachte ich kurz, es wäre voll interessant, mal was über die dörflichen Zuspitzungen des ohnehin desolaten Gesundheitssystems zu schreiben, wo ich doch zufällig in der Kommune mit dem rechnerisch größten Ärz­t:in­nen­man­gel Deutschlands wohne. Eigentlich ein Geschenk für diese Kolumne über Fragen zwischen Stadt und Land, und ich hätte auch noch zwei Sätze darüber eingestreut, wie viel schwerer es hier draußen gerade in solchen Krisenmomenten ist, ohne Auto zurechtzukommen. Wenn man entweder ein Taxi aus dem Nachbardorf kommen lassen muss oder den (einen) Bus Richtung Praxis erwischen. Den um halb zwölf.

Andererseits: Was weiß ich denn schon wirklich darüber? Ist halt kacke und nervt, aber weiter? Wertiger bedienen könnte ich das Sujet, irgendwann knapp über 40 plötzlich mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu werden. Aber das haben erstens schon viel klügere Menschen getan als ich und zweitens bin ich auch weit davon entfernt, an dieser Sache hier zu sterben. Behauptet jedenfalls der Arzt.

Womit sich auch schon das nächste Themenfeld aufdrängt, für das sich völlig zurecht keine Sau interessiert: empfindlich-verletzliche Männerseelen nämlich, die wegen Bauchschmerzen mit Gott zürnen, oder so. Auch das ist schon zu oft geschrieben worden, wobei sich hier auch bei Weitem nicht nur klügere Menschen ausgetobt haben, als ich einer bin.

Früher war ich nie krank. Mein erstes echtes Fieber hatte ich an meinem 30. Geburtstag. Mein erstes Antibiotikum ein paar Jahre später, und die eine Hand, an der ich meine Blutentnahmen abzählen kann, ist gestern beim dritten Finger angekommen. Unterm Strich ist meine Krankengeschichte also hochgradig unspektakulär. Aber die Tendenz ist nicht gut.

Ich bin auch weit davon entfernt, an dieser Sache hier zu sterben. Behauptet jedenfalls der Arzt

Sind Sie noch da? Das freut mich (wirklich!), aber es tut mir auch ein bisschen leid um Ihre Zeit. Eigentlich tut es mir für uns beide leid: für mich, der liegen soll und schreiben muss – und für Sie, deren Hoffnung auf eine knackige Pointe in wenigen Sätzen enttäuscht werden wird. Es ist ein blöder Zufall, dass meine Kolumne gerade jetzt an der Reihe war. Vergangene Woche hätte ich zum Beispiel von meiner Reise nach Bacharach am Rhein erzählt und in der davor von dem tollen Theaterfestival in Hamburg, an dem ich ein bisschen mitwirken durfte. Aber nun haben wir eben die Siechenzeit erwischt und müssen da irgendwie durch. Bis sie wieder in Stimmung kommen: Sein und Bewusstsein.

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