piwik no script img

Jamaika liegt am Mittelrhein

In Köln hat sich Deutschlands dichteste Reggaeszene mit Dutzenden Labels und Bands angesiedelt. Ein Netzwerk um die Musikzeitschrift „Spex“ brachte den Stein Mitte der Achtziger ins Rollen

VON BETTINA LATAK

„Da geht einiges in deutschen Reggaestädten“, sang Benji vor drei Jahren auf der ersten Veröffentlichung von „Rootdown Records“. Jetzt hat das Hürther Plattenlabel das erste selbstproduzierte Album veröffentlicht: „Das Spiel beginnt“ des Düsseldorfer Dancehall-Duos Mono & Nikitaman präsentiert 14 Stücke mit politisch gefärbtem Partyreggae und deutschen Texten. Nicht zufällig sind Nikitaman und Mono bei Rootdown gelandet, denn das Label hat sich auf deutschen Dancehall-Reggae spezialisiert und profitiert von den gewachsenen Strukturen im Kölner Raum. Zwar gibt es auch in Berlin eine große Reggaeszene, doch in keiner anderen deutschen Stadt konzentrieren sich Jamaika-affine Aktivitäten so stark wie in „Cologne Bay“.

Dutzende Soundsystems und DJs, ebenso viele Sänger und Bands, Plattenlabel, das einzige deutschlandweite Reggaemagazin Riddim und das größte europäische Raggaefestival „Summerjam“ sind in Köln ansässig.

Rückblende: Mitte der 80er Jahren entdecken der Chefredakteur und der Geschäftsführer der Kölner Musikzeitschrift Spex die zeitgenössische digitale Variante von Reggae namens Dancehall. Diedrich Diedrichsen und Gerd Gummersbach schrieben nicht nur über die neueste Entwicklung der nahezu unbekannten jamaikanischen Musik, sondern legten von 1987 bis 1991 unter dem Namen „Dreadbeat“ im Rose Club als erste in Deutschland ausschließlich Dancehall auf. Gummersbach wurde zu einer zentralen Figur der Kölner Reggaeszene. Viele der heute Erfolgreichen wie „Pow Pow Soundsystem“ und „Gentleman“ lernten sich im Rose Club oder Gummersbachs Plattenladen „Music Works“ kennen.

Zehn Jahre später platziert sich Gentlemans Album „Journey to Jah“ in den Top 20 der Verkaufscharts. Der Popstarstatus des Kölner Pastorensohns macht die Minderheitenmusik marktkompatibel und beschert nicht nur der Kölner Szene junge neue Fans. Im Zuge dieses Erfolgs wurde 2001 Riddim gegründet. Bis dahin hatte Spex als einzige Musikzeitschrift regelmäßige über Neues von der Karibikinsel berichtet. Seitdem wird das Summerjam-Festival von Riddim präsentiert. Ebenfalls Riddim-Redakteur ist Gummersbach, der Music Words trotz nationalen Ruhms aus ökonomischen Gründen schließen musste.

Jens Petzmeier, bekannt als Lazy Youth und DJ des Kingstone Soundsystems, ist bei Riddim ausgestiegen, um sich ganz seiner musikalischen Karriere zu widmen. Ende März erschien sein Solo-Album „Gebe nicht auf“ und seine Kollegen von Kingstone feierten gerade die Veröffentlichung von „Senorita Riddims“. Die Produktionen des Pow Pow Soundsystems sind auch auf Jamaika erfolgreich.

Benji hat unrecht: In der Reggaestadt Köln geht mehr als nur Einiges.

Mono & Nikitaman: Mittwoch, 14.4., 19.30 Uhr, Underground, Vogelsanger Str. 200 – Pow Pow Soundsystem, jeden Freitag, 23 Uhr, Petit Prince, Hohenzollernring 90 – Soundsystem, jeden Samstag 23 Uhr, Studio 672, Venloer Str. 40 – Summerjam-Festival: 2.-4.7., Fühlinger See

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen