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Archiv-Artikel

JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE Das Nilpferd beim Namen nennen

Es ist gar nicht so schlecht, ein alter Sack zu sein – solange man sich nicht vom Nasenhaarschneider beeindrucken lässt

Ich habe ihn verlacht, ja es gab eine Zeit, da zweifelte ich seine schiere Existenz an. Was sollte das sein, ein Nasenhaarschneider? Etwas, das von dubiosen Kramhändlern in ihren dubiosen Annoncen feilgeboten wird, neben Taschennähmaschine und elektrischem Küssgestell. Ein Groteskwort für Autoren von Witztexten. Ach, was haben wir gelacht über den Nasenhaarschneider. Super Bandname, Nasenhaarschneider, haha! Oh unbeschwerte Jugend. Wie schal schmeckt diese Erinnerung jetzt, da ich vorhin, den Mund gefüllt mit einem belegten Brot meiner Wahl, eine neuartige Atemnot verspürte.

Ich hätte jetzt eine, wie ich finde, valide Antwort anzubieten auf die immer gute Frage „Woran merkt man, dass man nicht mehr jung ist?“: Wenn du beinahe an deinen eigenen Nasenhaaren erstickst, guter Mann. Du wirst einen Nasenhaarschneider brauchen. Du weißt noch nicht einmal, wie so ein Gerät aussieht, aber du wirst dir einen zulegen müssen. Noch keine Digitalknipse im Haushalt, nicht mal einen dieser praktischen Milchaufschäumer, von denen alle reden, aber schon einen Nasenhaarschneider. Und nicht aus Jux, sondern aus bitterer Notwendigkeit. Ist das der Lebensabend?

„Siezen dich Kinder neuerdings, wenn sie nach der Uhrzeit fragen?“, pulte zuletzt das Eigentlicherwachsenen-Heft Neon in der Wunde herum. Ach was, Kinder. Erstens schauen Kinder heute auf ihren Palmtop, wenn sie die Uhrzeit brauchen, zweitens sind die perfidesten Siezer doch die Jugendlichen, denen man sich so arglos gleichaltrig fühlt, weil man’s eben noch so gewöhnt ist. Und dann, eines Tages, fangen sie an, reinzugrätschen. He, Schrat!, sagen sie, wach auf, die Tarnung ist aufgeflogen, wir Jungen, Duftenden, Blühenden sehen es alle klar: Du. Bist. Alt.

Letztens war ich auf einer Jugendlichenveranstaltung, und die Jugendlichen an der Tür fragten die Jugendlichen in der Schlange nach Eintrittsstempeln auf der Hand. „Hast du schon einen Stempel?“, ging die Routinefrage an jeden vor mir. Dann war ich dran. „Haben Sie schon einen Stempel?“ Tada! Ich stelle es mir so vor: Wenn du da sitzt und Mäuse paradieren an dir vorbei und du zählst ab, „hallo Maus, hallo Maus, hallo Maus“, und auf einmal steht da ein Nilpferd in der Reihe, dann wirst du auch nicht aus Versehen, weil du gerade so drin bist im Mäusegrüßen, „hallo Maus“ sagen zu dem Nilpferd. Sondern du wirst aufmerken. Und das Nilpferd beim Namen nennen. Gehört sich auch so. Und wenn sie sonst keinen Benimm gelernt haben, dazu reicht’s gerade noch.

Bevor mich im Übrigen ein Kind nach der Uhrzeit fragt, fragt mich eher mein Freund Helmut in genau dem Ton, in dem er mich früher, ja: damals, zum Pferdestehlen lud: „Und? Was ist? Kommst du mit zur Wirbelsäulengymnastik?“ Die AOK-Zweigstelle biete da einen Kurs an. Ich ließ mir die Nummer geben. Was ich sagen will: I might as well face it und mir einen Nasenhaarschneider besorgen. Doch noch sträubt sich etwas in mir – noch sträubt sich alles in mir, sogar das Großhirn, das in puncto Frühvergreisung nun wirklich schön die Klappe halten sollte, sich auch nur mit der Planung dieser Anschaffung auseinander zu setzen. Wo geht man denn da eigentlich hin? In die Drogerie um die Ecke? Oder lieber gleich ins Sanitätshaus, bei der Gelegenheit gleich noch einen Treppenlift mitnehmen?

Ach, ich hab mir jetzt doch keinen Nasenhaarschneider gekauft, sondern was viel Besseres, in der Fußgängerzone, von so einem fliegenden Händler: eine Seifenblasenpistole mit schockendem Fiepmodul. Damit ballere ich jetzt so lange siezende Jugendliche ab, bis die Männer mit den weißen Turnschuhen kommen und mich holen. Sie sperren mich weg, aber ich, nicht faul, flechte ein Tau aus meinen Nasenhaaren! Seile mich kühn ab und gründe mit Helmut eine Altrocker-Band namens Küssgestell! Und siehe da, es ist doch nicht so schlecht, ein alter Sack zu sein. Dann wache ich auf und habe mir im Schlaf den Rücken verrenkt.

Josef Winkler wird künftig einmal im Monat über die verrinnende Zeit kolumnieren.

Fragen zum Nasenhaar? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER