JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE : Da hilft nur noch Hubschrauberabsturz
My favorite waste of time: dem Rechtsstaat beim Flaggezeigen unter die Arme greifen
Am Wochenende ist mir was Komisches passiert. Im strahlenden Frühling ging ich gegen Nazis demonstrieren – und wurde ein wenig braun dabei. Like a fella once said: Ain’t that a kick in the head?
Wenn man da so steht, in der Mittagssonne auf der Theresienwiese, vor einem weiträumig abgesperrten Areal mit 300 Neonazis bei der Verrichtung ihrer oralen Notdurft, kann man ins Fantasieren kommen. Ich wünsche Leuten ja nichts Böses, zumindest den allermeisten nicht.
Auch nicht solchen Leuten, die zum Beispiel in Polizeihubschraubern während Neonazi-Kundgebungen über der Theresienwiese kreisen; die tun ja da oben auch nur ihren Job (keine Ahnung: aufpassen, dass nicht ein Linksterrorist hinter einen Mannschaftswagen seicht oder so).
Aber, hab ich mir gedacht, manchmal passiert es ja, dass so ein Hubschrauber her und Motorschaden und zack! abstürzt. Schlimm genug, aber, hab ich mir gedacht, WENN es schon passieren muss, warum dann eigentlich nicht zum Beispiel genau JETZT zum Beispiel genau MITTEN in diese Pissnelken da vorne rein? Da wären sie alle gerade so schön auf einem Haufen beieinander. Die Polizisten im Hubschrauber könnten in dem Szenario ja noch mit Fallschirmen abspringen oder besser: die könnten zufällig selbst Neonazis sein. Soll’s ja auch bei der Polizei geben, obwohl ich grundsätzlich glauben möchte, dass es den meisten Polizisten auch eklig ist, diesem Dung Demobeihilfe leisten zu müssen. Gut, und die irregeleiteten Mitläufer und die Nazikinder dürften vorher noch aus dem Pulk raus und … Ach, lassen wir das mit dem Hubschrauberabsturz, war eh nur eine Fantasie.
Aber geben Sie’s zu: „Mehr Bildung für Neonazis“ klingt gut, „explodierender Hubschrauber auf Nazis drauf“ aber – wenigstens kurzfristig – wirkungsvoller. Doch was sind das für Anwandlungen! Mit rechtsstaatlichen Mitteln muss das Nazi-Elend bekämpft werden. Die Bürger sollen dem „eine Absage erteilen“, aber ey: keine Gewalt. Was? Ich rede ja auch nicht von Gewalt, ich rede von einem UNFALL. Kismet. Vielleicht will der Kosmos das eben gerade so. Ich könnt’s ihm nicht verdenken.
Egal jetzt. Haben die Nazen also dann ihren Demozug gemacht. Wobei ich mir halt sicher bin: Wenn die Beatles heute daherkämen, um in München auf einem Hausdach ein Konzert zu spielen, dann ginge das nicht, weil die Polizei für irgendjemandes Sicherheit nicht garantieren könnte. Damit lassen sich immer trefflich Sachen unterbinden, dass für „die Sicherheit nicht garantiert werden kann“. Da muss die Frage erlaubt sein, ob so eine Nazi-Demo dann mit 1.200 Robocops durchgepeitscht werden muss oder ob man nicht sagen kann: „Typen, wir haben da draußen 3.000 blutdurstige Punker, wir können für Ihre Sicherheit nicht garantieren. Bitte gehen Sie jetzt heim. Danke.“ Oder so in der Art.
Doch nun war’s, wie’s war, und zwar nicht schön und gut, aber okay, und wir haben gepfiffen, geschrien und „die rote Karte gezeigt“ und auch ein wenig Spaß gehabt und sind – wie gesagt – sogar braun geworden um die Nase. Aber am Montag hatte ich dann doch den Kaffee auf. Da sprach das Landgericht Halle das Urteil gegen einen Skinhead, der 2000 einen Rentner, der sich über das laute Abspielen des Horst-Wessel-Lieds beschwert hatte, erstach: Freispruch, in Revision. Weil die Frau des Skins bezeugte, die Messerstiche seien „Notwehr“ gewesen. Abgesehen davon, dass mir schlecht wird, wenn ich nur darüber nachdenke, überlege ich, ob ich mir nicht nächstes Mal den Schuh aufblasen lasse, von wegen „wehrhafte Demokratie“, und mich mit einer Flasche Wein an die Isar lege, wenn der Rechtsstaat mal wieder an meine Solidarität appelliert für den Aufstand der Anständigen. Ich bin, kann man sagen, ein wenig verdrossen. Was soll das Rumbrüllen in der Frühlingssonne, wenn eh alles wurscht ist? Müssen wir jetzt warten, bis auch auf das Landgericht Halle ein Hubschrauber drauffällt? Und wo dann noch überall? So viele Hubschrauber gibt’s ja gar nicht. Like a sailor said, quote: Ain’t that a hole in the boat?
Fragen zum Absturz? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER