JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE : Die Angst des Balldeppen beim Gaudikick
Das Runde muss ins Eckige? Mal ernsthaft: Das Runde kann mich am Arsche löcken. Aber Vollgas
Ich sag es frei heraus: Ich bin ein Balldepp. Das ist kein Schimpfwort, das ist ein Fachausdruck. Meint: Wenn Sie mir einen Ball – ob Fuß-, Hand-, Volley-, Basket-, Medizin-, ganz egal – zuschießen, -werfen, -rollen, -pritschen oder schieben, werde ich höchstwahrscheinlich etwas Unelegantes und Unsachgemäßes damit anstellen. Falls es mir gelingt, mich seiner zu bemächtigen.
Das soll jetzt keine schicke Koketterie sein à la „so Börsenzeugs ist für mich ja ein Buch mit sieben Siegeln“. Auch kein fishing for compliments; Sie müssen mir da nicht aus Nettigkeit widersprechen (zum Vergleich: Sollten Sie mich mal was murmeln hören von wegen: „Wenn das so weitergeht mit dem Haarausfall, könnt ihr mich bald Kojak nennen“, dann sagen Sie bitte dringend etwas in der Richtung: „Aber, aber, das sieht doch noch ganz ordentlich aus da oben“); es ist ein Faktum, ich kenne es nicht anders und es grämt mich daher kaum: Ich bin ein Balldepp.
Nicht, dass ich stolz darauf wäre; ich habe im physisch-motorischen Bereich schon meine Eitelkeiten. Ich lege zum Beispiel Wert auf die Feststellung, dass ich trittsicher bin, am Berg und so. Ich bin also kein – Achtung, wieder Fachausdruck! – Haxendepp. Nein. Ich bin ein Balldepp.
Wenn mich dieser Umstand heute kaum grämt, dann, weil einen das Leben nach dem Schulsport ja nur noch selten mit ungewollten Ballkontakten und jenem unseligen Imperativ „ran!“ konfrontiert. Aber wenn ich durch den Englischen Garten gehe und da spielen Typen Fußball, dann ist da garantiert einer dabei, der das Ding zu weit schlägt und die vermaledeite Kugel rollt mir vor die Füße und will lässig zurückgepasst werden zu den verschnaufend Herglotzenden. Und ich steh da wie Beckham beim Elfer, wohlwissend: Jetzt wird’s wieder peinlich. Hundehalter machen oft ein Aufhebens, zischen und reißen an Leinen, wenn ihre Tiere im Park vermeintlich Passanten zu nahe treten. Ehrlich: Ich lasse mich gern von dahergelaufenen Tölen schlabbern und um meine Wurstsemmel anbetteln. Aber haltet eure scheiß Fußbälle vor mir fern.
Am Wochenende nun gab es kein Entrinnen, im Rahmen eines Junggesellenabschieds. Ich weiß: Da wird normal Alkohol getrunken und gut is’. Hier hieß es plötzlich „Fußballtennis“! Fußballtennis ist eine hohe Fertigkeit erfordernde Mischung aus Fuß- und Volleyball und wird über ein Tennisnetz gespielt. Natürlich nur zum Spaß, haha, zur Gaudi. Aber das kompetitive Moment ist immer da, das gehört ja dazu zur Gaudi, vielmehr: Es macht sie aus. Der Ballbehandler muss sich immerfort messen mit anderen Ballbehandlern. Das macht ihm Spaß. Mir ja auch, als Zuschauer. Toll anzusehen, mit welchem ronaldinhesken Geschick die sieben um mich herum jetzt agierten; es war nur unklar, was ich als vierter Mann meines Teams dazu beitragen sollte. Es war allen unklar.
Faszinierend, wie schnell das Gehirn mit einer originalgetreuen Reproduktion eines Gemütszustandes zur Stelle ist: Von jetzt auf gleich war ich wieder in der 8. Klasse, Nachmittagsunterricht: das Unbehagen im Ballsport. Ich sehnte von Minute eins an das Ende herbei.
Keiner meiner Leute spielte mir einen Ball zu (was mich – wie früher – gleichzeitig ärgerte und erleichterte), aus Rücksicht auf den Balldeppen, und weil kein rechter Sportsmann so billig verlieren will. Ja, nicht einmal die Gegner, denen schnell klar war, dass ein platzierter Schuss auf mich einen sicheren Punkt bedeutete, spielten mich an; aus Rücksicht auf den Balldeppen, und weil kein rechter Sportsmann so billig gewinnen will. Die Minuten gerannen zu Stunden. Warum purzelten die Punkte so langsam, wo wir doch klar drei gegen vier, streckenweise drei gegen fünf spielten?
„Revanche jetz’!“ rief viel später am Abend einer, und noch einmal ging’s nach draußen, den Platz zerwühlen, drei gegen drei. Die beiden Ausfälle des Abends fehlten: Der Junggeselle lag im Rausche schlummernd. Ich erklärte mich zur Wacht bereit, außerdem lief im Fernsehen „Der Würger von Schloss Blackmoor“. Und dafür lass ich schon mal einen Gaudikick sausen.
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