JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE : Bitte verzeihen Sie mir, dass es regnet
Schabernack mit von Arbeitsplatzverlust Bedrohten und interessante Fachausdrücke! Hier steht’s alles drin!
Im Radio haben sie gerade gesagt, 30.000 Kumpel fördern heute noch Steinkohle in Deutschland. Echt? Also, von meinen Kumpels fördert keiner Steinkohle, zumindest nicht, dass ich wüsste. Haben Sie einen Kumpel, der Steinkohle fördert? Ich glaube, ich habe nicht einmal Leute im weiteren Bekanntenkreis, die einen Kumpel hätten, der Steinkohle fördert.
Entschuldigung. Ich musste es tun. Seit früher Kindheit, also schon seit Jahren, finde ich das kurios und lustig (früher hab ich’s noch kurioser und lustiger gefunden als heute; man wird ja doch reifer), dass es eine Berufsgruppe gibt, die so heißt wie die Leute, mit denen man nach der Schule im Freibad rumhängt und saure Pommes isst bzw. für die man keine Zeit mehr hat, weil man so drinsteckt im Hamsterrad, in dieser beschleunigten Gesellschaft, dass man vorn und hinten nicht mehr weiß, wo noch irgendein Zeitfenster freizuschaufeln wäre; meine Güte, wie soll man denn da noch Kontakte pflegen?!? – aber das führt jetzt etwas zu weit weg. Jedenfalls hört man momentan wieder viel von Kumpeln, und angesichts der Nachrichtenlage ist es quasi aus mir herausgebrochen.
Aber, aber, werden Sie jetzt sagen, dafür müssen Sie sich doch nicht entschuldigen, hochverehrter Herr Geheimrat Winkler (Sie können den letzten Teil auch weglassen; ich dachte nur gerade so, dass das irgendwie was hätte), das passiert doch jedem von uns mal, dass er einen schalen Gag macht! Doch: Ich möchte mich für den Kumpelwitz entschuldigen, zumal es mir fern liegt, mit von Arbeitslosigkeit Bedrohten Schabernack zu treiben. NICHT entschuldigen werde ich mich hingegen dafür, dass ich – Sie konnten es nicht hören – gerade geniest habe. Ich hab gelesen, der neue Knigge will, dass man nicht mehr nur nicht mehr „Gesundheit“ sagen soll, wenn jemand niest. Nein: Jetzt ist es so, dass derjenige, der noss, sich dafür ENTSCHULDIGT! Entschuldigung? Ich entschuldige mich, wenn ich gemein war zu wem. Oder wenn ich Ihnen niesend aufs Jackett schnaube. Aber doch nicht fürs Niesen per se! Was kommt als Nächstes? Die schlaffen Typen da auf den Krankenstationen sollen sich entschuldigen für ihre Schlaganfälle, oder wie? Das Niesen ist ein Reflex, der über die Medulla oblongata, das Rautenhirn, gesteuert wird. Ich kann mich doch nicht für mein Rautenhirn entschuldigen! Genauso gut könnte ich dafür um Verzeihung bitten, dass es heute regnet.
Medulla oblongata. Gut, ne? Ja. Ich war bei Wikipedia. Drum weiß ich auch, dass beim Niesen die Luft mit bis zu 172 km/h ausgestoßen wird und dass „Kumpel“ von Kumpan, Kompagnon kommt, und das kommt von „cum pane“, also: „mit Brot“. Ein Kumpel ist einer, mit dem man sein Brot isst. Oder saure Pommes, ich sag’s ja.
Ach so, Sie meinen, man könne ein Niesen – anders als einen Schlaganfall – ja auch unterdrücken? Ja, genau; so weit kommt’s noch. Eine Lehrerin von uns hat das früher immer gemacht. Wenn die niesen musste, drehte sie sich sich um, hielt sich die Nase zu und krümmte sich dann in einer reißenden Zuckung zusammen und machte ein Geräusch – ich sage nur: 172 km/h – dass man Angst hatte, es könnte eine Arterie oder ein Lungenflügel platzen in der Frau (na gut, „Angst“: Wir hätten’s natürlich auch abgefahren gefunden, wenn unsere Französischlehrerin geplatzt wäre).
Wenn sie fertig war, guckte sie drein, als sei das gerade so entsetzlich erniedrigend für sie gewesen, als hätte man sie gezwungen, vor der Klasse ihre Hosen runterzulassen. Die Natur hatte ihr das angetan! Das nenne ich auf Du und Du stehen mit seinen Körperfunktionen. Ich fand das immer so beängstigend affig, dass ich mir wohl schwor, niemals im Leben ein Niesen zu unterdrücken (gut, es sei denn, sagen wir mal, ich sitze zusammengekauert hinter einem Stapel Autoreifen und beobachte einen Koksdeal einer Gang mit Uzis bewaffneter Kolumbianer o. Ä.; aber das wird mir in diesem Leben eh nicht mehr passieren). Dann werde ich jetzt auf meine alten Tage auch nicht damit anfangen, mich dafür zu entschuldigen. Ja? Okay? Kumpel?
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