JESPPERELLA SAGT NEIN! : Von Mütter und Malern
VON LUCIE MARSHALL
Mein Sohn Sam ist unter die Maler gegangen. Er macht nix anderes mehr. Nachdem wir zweimal ordentlich aneinandergeraten sind, weil er den falschen Untergrund gewählt und die Wohnzimmerwand vierfarbig bemalt hat, tobt er sich jetzt eher auf Papier aus. Und auch gern auf abgewickelten Küchenrollen. Ein kreatives Kind. Mein kreatives Kind! Großartig! Ich muss mir keine Gedanken mehr über Mitbringsel machen. Wer dreht nicht durch bei farbigen abstrakten zweidimensionalen Gebilden, die mit zweiseitiger Bildbeschreibung von der stolzen Mutter des Künstlers überreicht werden?
Montag ist meine Freundin Raffaella zu Besuch, was ungefähr alle Schaltjahre vorkommt. Sie wohnt in Wannsee und eine Anreise mit einer 4-Jährigen und 1,5-jährigen Zwillingen ist eine logistische Herausforderung.
Wir sitzen alle am Küchentisch zusammen, Raffaella und ich mit Kaffee, die Kinder mit Malstiften und Papier. Raffaellas Tochter Greta hat ein schönes Bild mit großen roten Blumen gemalt. Sie überlegt kurz, greift dann zum dicken schwarzen Wachsmalstift und will offenbar das Bild effektiv und nachhaltig übermalen. Raffaella schrickt zusammen: „Nein, Greta, bitte nicht! Das schöne Bild!“
Ich halte inne: wenn ich diesen Moment nur aufnehmen könnte. Denn man muss eins wissen: Raffaella ist Jesper-Juul-Jüngerin. Sollte Herr Juul mal vergessen haben, was er zu einem bestimmten Thema gesagt hat, dann muss er nur Raffaella fragen: Sie kann es wortwörtlich wiederholen. Wahrscheinlich auch noch in drei Sprachen. Und jetzt sitzt diese meine Freundin Raffaella (von mir auch gern Jespperella genannt) und tut etwas, dass man laut dem dicken Dänen nicht tun sollte: Man soll sich nicht einmischen, wenn Kinder malen: nicht loben (Achtung, Leistungsdruck!), sondern nur die Freude am Zeichnen hervorheben. Mir ist das so gut wie noch nie gelungen. Jedes Mal, wenn Sam etwas malt, platzt es nur so aus mir heraus: „Oh, das ist aber eine tolle Spinne, Sam!“ Die prompte Antwort: „Nein, das isse eine tannebaum, Mama!“
Ich schmunzle Raffaella zu und kann es mir nicht verkneifen: „Du, sag mal, wie ist das noch mal? Wenn Kinder malen …“ Ich kriege den Satz nicht zu Ende, da fällt sie mir schon ins Wort: „Jajaja, ich weiß, Lucie, aber jetzt mal ehrlich, das Bild ist doch so schön, und die Oma hat nächste Woche Geburtstag, verstehst du?“ Na klar verstehe ich das! Ich bin nur so heilfroh, dass ich nicht immer diejenige bin, die korrigiert wird. Ach ist das herrlich. Einmal die Nase vorn zu haben. Gibt es eigentlich auch ein Buch über Konkurrenz unter Müttern? Bestimmt hat der Jesper dazu was geschrieben – sonst mach ich das.
■ Tanya Neufeldt alias Lucie Marshall schreibt hier über den zauberhaften Wahnsinn, der über uns hereinbricht, wenn man Kinder bekommt. Vor allem, wenn man sich an ein unabhängiges Leben gewöhnt hatte. luciemarshall.com