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Archiv-Artikel

JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA Din daa daa, ein dämliches Dilemma

Je älter wir werden, desto mehr wollen wir diesen Umstand verdrängen – bis uns die Altersmilde dazwischenkommt

Die Stunden zwischen den Jahren waren besinnlich. Was sonst. Man übertrug Telefonnummern mit dem Seufzer „Ach ja, auch schon tot“ nicht mehr in neue Kalender, heftete drei Post-its mit nötigen Ausweisverlängerungen an eine dunkle Ecke der Pinnwand und genoss ansonsten die Zwischenzeit, die vor Ewigkeiten, als Berlin sich noch als kleine, wilde Insel mit einer Chinesischen Mauer drin verstand, einmal im Titel einer jugendlichen Prä-Soap zu finden war: „Die Vier aus der Zwischenzeit“ mit Christoph M. Ohrt. Und, wenn die Jahre nicht den Schleier des Verwechselns darüber gelegt haben, auch mit Georg Kranz, dem Trommeltanz-Erfinder, für dessen eventuell wieder ins Leben zurückgerufenen, vergessenswerten Ohrwurm ich mich schon mal prophylaktisch entschuldigen möchte. Aber manchmal muss man Dinge noch mal aussprechen (oder singen), bevor sie ganz verschwinden dürfen.

Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang auch mal ein paar Chindogus nachbauen, um endlich nicht mehr ständig den mit ihnen verbundenen Zwangsvorstellungen ausgeliefert zu sein, etwa den „Butterstick“ oder die Schuhe mit den kleinen Regenschirmen drauf. Chindogus, wer’s verdängt hat, waren diese unsinnigen japanischen Erfindungen, die vor ein paar Jahren eine ganze Tüftlergemeinde auf den Plan riefen, die mit Elan und Zeit Dinge wie völlig bekloppte Fingernagelkauschutze aus getrocknetem Tintenfisch oder mobile, nach Bedarf ausrollbare Parkstreifen ersonnen.

Bei dem Parkstreifen bin ich nicht sicher, ob er wirklich den harten Chindogu-Kriterien (absolut unbrauchbar) genügt: So sinnlos kommt er mir nämlich gar nicht vor. Aber das sichere Gefühl bleibt, dass sich durch das verstärkte Auftreten vergessenswerter Phänomene wie Chindogu, Lieder wie „Din Daa Daa“ und Namen wie Georg Kranz Rückschlüsse auf das Alter ziehen lassen. Ich zum Beispiel werde mich in zwanzig Jahren mit Sicherheit noch an sinnlose Namen wie Dieter Bohlen und Larry Fortensky erinnern. Ein gnädig zwanzig Jahre später Geborener braucht sich nur mit Dieter Bohlen herumzuärgern. Larry Fortensky muss er, sofern er nicht Li-Taylor-Biograf wird, nie kennen lernen.

Das Schlimmste an dieser altersbedingten persönlichen Vermehrung der vergessenswerten Relikte aus anderen Zeiten ist bekanntlich die damit verbundene Sozialisierung der Jahrgänge: das Generationen-Bilden. Meine angebliche Generation hört etwa mit Freuden genau die 80er-Jahre-Musik, die damals auch schon zum Kotzen war, und findet plötzlich Colt Sievers lustig.

Ich habe mal ein paar ältere Menschen (Jahrgänge 25 bis 35) gefragt, ob ihnen das Phänomen der Generationenresozialisierung auch so auf die Nerven geht. Aber sie sprachen übereinstimmend davon, sich ausgesprochen gerne zu erinnern, fanden ihre Generation spitze und fleißig und taten meine Kritik mit dem abgelutschten Seniorenspruch „Früher war eben alles besser!“ oder einer Variante davon ab. Das lässt nur zwei Folgerungen zu: Entweder war es wirklich besser, und die Generationen waren homogener, oder das Alter macht milde. Oder, jetzt fällt mir eine dritte mögliche Folgerung ein, die befragte Gruppe war nicht repräsentativ.

Die Wahrheit ist wieder irgendwo da draußen, also dazwischen. Wahrscheinlich liegt meine negative Rezeption der Vergangenheit (meine 70er und 80er waren in weiten Teilen, was eine bestimmte Massenkultur angeht, schrecklich) wirklich an fehlender Altersmilde. Andererseits wird jener Gegenwarts- und Zukunftsglaube, dem ich momentan noch anhänge, vielleicht irgendwann umschlagen: in dem Augenblick, in dem man zu alt für eine Zukunft wird. Dann findet man plötzlich die 90er oder 00er oder sogar 80er toll, einfach nur, weil man damals noch allein auf die Toilette gehen, eine Georg Kranz-Platte hören, eine Diddl-Maus verbrennen, eine Demo samt Gleise-Anketten organisieren oder einen Butterstick nachbauen konnte. Mal sehen. Richtig heiß bin ich auf diese Zeit ehrlich gesagt nicht.

Fragen zu Chindogus? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER