JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA : Die Krawatte aus Walpenishaut
Nichts ist aufregender als ekelige Tiergeschichten – abgesehen von Anekdoten, die sich Tiere über Menschen erzählen
Die Geschichte, wie ein Ameisenvolk seine Hauptverkehrsachse genau über ihren Körper gebaut hatte und sie darum im Ferienhaus nicht so richtig zum Schlafen kam, ließ mich meine Freundin mit ganz anderen Augen sehen. In der ersten Nacht, so erzählte meine wackere Freundin, sei sie zwischen zwei und drei Uhr von dem Getrappel tausender kleiner Beinchen aufgewacht. Die restlichen Nächte habe sie auf dem Sofa verbracht, in dem allerdings dafür eine Familie schwarzer, lakritzsalinogroßer Kellerasseln gehaust habe, die nachts neben dem Kopfkissen hin und her eilten.
Ach, wie ich Geschichten von ekeligen Erlebnissen mit Tieren liebe! Sie machen immer wieder klar, dass wir diesen Planeten nicht allein bewohnen und die Erde ohnehin nur von unseren Schwippschwagern geliehen haben.
Ich versuche auch schon seit Jahren, endlich mal eine Tiergeschichte auf die Reise zu schicken, aus der dann ein moderner Mythos wird, so wie die Spinne aus der Yuccapalme oder das mit dem anhänglichen dackelähnlichen Hündchen, das im Urlaub einer Familie zuläuft und zu Hause das Baby anknabbert, wonach der später zur Erklärung gerufene Veterinär erklärt, dass es sich nicht um einen Dackel, sondern um eine australische Riesenratte handele.
Oder wie wäre es mit dieser, die allerdings nicht ganz so elegant ist, das gebe ich zu, aber dafür könnte man sie hervorragend Gymnasialschulklassen oder Alfred Hitchcock als Aufsatzanfang zum Weiterschreiben geben: Eine entfernte Verwandte kauft in einem afrikanischen Land einen kleinen papageienähnlichen Vogel. Als er später in ihrer Küche sitzt, erzählt er etwas Unglaubliches … Oder: Der Leiter des Penismuseums in Reykjavik trägt sonntags eine Krawatte aus Walpenishaut. Das ist aber ein Fakt, kein Märchen. Vielleicht war es sogar die Walpenisvorhaut, ich habe nicht so genau aufgepasst damals.
Schöner und legendärer als moderne Tiermärchen sind vermutlich ohnehin die Anekdoten, die sich die Tiere untereinander von ihren ekeligen Menscherlebnissen erzählen. Weißt du noch, als wir die Autobahn gerade fertig hatten, und dieser komische, weiche Boden fing plötzlich an, sich zu bewegen?
Wahrscheinlich erzählen sich sogar Hunde Horrorgeschichten. Obwohl sie den Menschen ja so gute Freunde sein sollen. Aber ob es so ein Nachkömmling eines echten Schäfer-Hirtenhunds verzeiht, statt anständigem Fleisch Trend-Weichei-Schoßhündchen-Leckereien in Aspik vorgesetzt zu bekommen?
Andererseits sind Tiere auch nicht mehr das, was sie mal waren. Ich sammle ja Beweise nicht tierischen Verhaltens, und musste feststellen, dass es nach dem Buch über die Bilder malenden Katzen jetzt auch noch eines über malende Elefanten gibt. Ähnliche Motive werden da interpretiert: Stillleben, Porträt, Akt. Solche Gecken würde ich nicht im Zoo besuchen wollen, das ist klar. Katzen sollen mausen, und Elefanten sollen trompeten, und sonst nichts.
Natürlich wärmt es einem das Herz, wenn der klügste Hund von Ungarn, über den ich neulich eine Dokumentation gesehen habe, eine bemerkenswerte Art ersonnen hat, mit einem Menschen zu kommunizieren: Der Hund stand in Lohn und Brot für einen Rollstuhlfahrer, und wann immer der Rollstuhlfahrer etwas verlangt, was der Hund nicht leisten kann, zum Beispiel das klingelnde Handy zu apportieren, das aber im verschlossenen Schrank liegt, dann holt der Hund stattdessen eine kleine leere Filmdose. Quasi als Symbol für seine Ratlosigkeit. Das habe er sich selbst ausgesucht, freute sich der Hundedompteur, und ich freute mich mit ihm. Schließlich hätte der Köter statt dem Filmdöschen auch einen nassen, abgenagten Knochen wählen können.
Trotzdem: Tiere, bleibt bei euren Leisten! Ihr könnt ja in der nächsten Welt alles anders machen, in der Zukunft, wenn nach einem Atomkrieg in den meisten Gegenden nur die Kakerlaken überlebt haben und fortan das dominierende Volk auf der Erde stellen. Mal gucken, wie euch das gefällt.
Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST & CHOLERA Ekelige Tiererlebnisse? kolumne@taz.de Donnerstag: Dieter Baumann über LAUFEN