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Archiv-Artikel

JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA Geistesgegenwärtig wie die Innuit

Omega-3-Fettsäuren sorgen bei jedem Aufstoßen für ein mildes Fischaroma – und ziemlich ausgefuchste Einfälle

Seit einiger Zeit nehme ich regelmäßig diese … wie heißen sie noch … Omega-3-Lachsölkapseln, um mein Gedächtnis aufzubessern. Dreimal am Tag eine Wunderpille, und schon begleitet einen nicht nur bei jedem Aufstoßen mildes Fischaroma, sondern sämtliche kaputten Hirn-Synapsen verketten sich wieder. Ich bin sicher, dass mein Lachsölkonsum bereits Wirkung zeigt: Würde ich sie nicht einwerfen, ich wüsste nicht mal, wie spät es ist.

Einer meiner Freunde behauptete kürzlich jedoch, diese ganze Lachsölgeschichte sei Humbug, schließlich hätte man noch nie etwas davon gehört, dass Eskimos als Haupt-Lachsölkonsumenten von im Vergleich herausragender Geistesgegenwart seien. Ha, sagte ich daraufhin zu ihm besserwisserisch, du hast wohl in deinem ungeordneten Kopf vergessen, dass man diesen Volksstamm Innuit nennt? Außerdem gehört die Lebensweise dieser Menschen ohnehin nicht unbedingt zum Allgemeinwissen, sie mussten ja nicht mal bei der Pisa-Studie mitmachen. Wer weiß, ob sie da nicht ganz hervorragend abschneiden würden.

Also was soll ich tun, um meinen Freund zu überzeugen? Mit den Omega-3-Fettsäuren aufhören und wieder dumm und vergesslich werden? Das wage ich nicht. Ich möchte den zarten neuen Synapsen im Gehirn Zeit geben, an Stärke zu gewinnen, sich zu tauähnlichen Fischerknoten auszuwachsen, denen auch ein verwirrter Geist wie meiner nichts anhaben kann. Mit der Antifaltencreme aus der Plazenta ungeborener Moschusochsen ist es ähnlich: Ich kann natürlich nicht mit Gewissheit sagen, dass sie wirkt, aber soll ich sie versuchshalber absetzen, um mein Gesicht eventuell grabenartig einfallen zu sehen? Mein skeptischer Freund, der nicht an Lachsöl glaubt, glaubt stattdessen an die Wunderwirkung von schnödem Wasser. Er trinkt beim Um-die-Häuser-Ziehen zwischen jedem Glas Wodka ein Glas Wasser. Und wenn er morgens verkatert und mit einer zehn Meter langen Schnapsfahne aufwacht, sagt er: „Ein Glück, dass ich so viel Wasser getrunken habe, mein Kater wäre sonst garantiert noch viel viel schlimmer.“

Solcherlei positives Denken bei unbewiesenen Phänomenen katapultiert einen direkt mitten in die Gruppe der gruseligen An-die-Kraft-der-Steine-Gläubigen, die kleine Amethyste mit sich herumschleppen, damit sie keinen Autounfall haben, oder einen grünen Kristall auf den Klo-Wasserkasten legen, der Verstopfungen verhindern soll. Oder die der merkwürdigen Horoskop-FreundInnen, die nach außen hin ganz normal wirken, unauffällige Berufe bekleiden und nicht besonders religiös zu sein scheinen, jedoch, ohne mit der Wimper zu zucken, anerkennen, dass Milli-Billi-Trillionen Lichtjahre entfernte Sterne einen Einfluss darauf haben, wie „beziehungsfähig“ sie heute sind.

Um nicht mit diesen leichtgläubigen Menschen verwechselt zu werden, habe ich nun mehrere ausgefuchste, wissenschaftliche Versuche vorbereitet. Der Versuchsaufbau gestaltet sich folgendermaßen: Die Versuchspersonen sind Zwillinge in meinem Alter. Ein Zwilling bekommt allabendlich abwechselnd gleichmäßig Wodka und Wasser eingeflößt, darf jeden Tag so viel Lachsöl essen, wie er kann, und cremt sich regelmäßig dick mit Antifaltencreme ein.

Der andere Zwilling kriegt ausschließlich tägliche Wodkarationen. Nach sechs Monaten teste ich bei beiden die Reflexe, messe die Augenfaltentiefe und zeige ihnen 30 Sekunden lang eine Palette mit verschiedenen Haushaltsgegenständen, die sie sich merken sollen.

Spätestens dann wird man ja sehen, ob die Eskimos da oben und da unten an den Polen heimlich die Weisheit mit Löffeln fressen. Ich habe die Versuchsreihe „Super Hangover Me“ genannt und plane einen Dokumentarfilm darüber, sobald ich mich mit den Sponsoren geeinigt habe. Ich bräuchte nur noch ein paar eineiige Zwillingspärchen, die sich für mich als Versuchspersonen zur Verfügung stellen. Interessierte Pärchen melden sich bitte bei der taz. Als Belohnung winkt eine angebrochene Schachtel Lachsölkapseln.

Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST & CHOLERA Fragen zur Wodkaration? kolumne@taz.de Donnerstag: Kirsten Fuchs über KLEIDER