JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA : Das Rod-Stewart-Komplott
Meiden Sie im Straßenverkehr Tourneeplakate von Rod Stewart! Die Senioren werden es Ihnen danken
Ende Mai kommt Rod Stewart nach Berlin. Ich weiß das, denn ich habe vor seinem Ankündigungsposter neulich fast einen Autounfall mit Todesfolge gebaut, so fasziniert war ich von dem Motiv: Rod Stewart steht in einem gestreiften Jackett vor einem Tisch und lächelt in die Kamera. Er trägt die aus der Mode gekommene Rockstar-Frisur, die er immer hatte, in der einen Hand hält er ein Paar Riemchensandalen, die andere nestelt an seinem schwarzen Schlips. Die Sandalen gehören eindeutig einer Frau, die hinter ihm auf dem Tisch zu liegen scheint, man sieht nur ihre schlanken Beine, ihre nackten Füße und einen Teil des etwas verrutschten Rocks.
Und schon läuft die Szenerie wie in einem 80er-Jahre-Videoclip (= mit richtiger Story) ab: Rod war unterwegs, vielleicht auf einer Party ihm zu Ehren, nach seinem erfolgreichen Konzert, in dem er als Zugabe „Baby Jane“ gespielt hat. Oder „Sailing“. Alle haben mitgesungen, haben Feuerzeuge angemacht und haben davor und danach „Whouwhouwhouwhou!“, geschrien, denn das machen Rockkonzertbesucher immer. Rod geht also von der Bühne und summt ein paar Zeilen aus „Do ya think I’m sexy“. Hinter der Bühne trifft er seinen Tourmanager, haut seinen Bandmusikern anerkennend auf den Rücken, und alle machen Thumbs-Up-Gesten. Dann geht er zur Aftershow-Party, wo auch seine Kinder anwesend sind, vielleicht waren sie gerade in der Gegend, sie haben ihren Vater lange nicht gesehen, denn er muss noch immer touren, weil ihn noch immer so viele Menschen sehen wollen. Seine Tochter Kimberley hat eine Freundin mitgebracht, sie ist 21 und will Model werden, genau wie Kimberley. Das Mädchen ist blond, trägt ein sexy weißes Kleid mit Spaghettiträgern und zarte Riemchensandalen. Rod schaut sie kurz an, lächelt gönnerhaft, zwinkert seinen Roadies verschwörerisch zu und murmelt mit seiner Reibeisenstimme in Cockney-Dialekt: Ich glaube, ich hab etwas für dich, Baby. Er schnappt sich noch etwas Ehrliches zu trinken, eine Kiste Bier oder so, guckt kurz auf die Fußballergebnisse, und geht mit der Kleinen in ein Hinterzimmer. Und fünf Minuten später, als der im Januar 60 Jahre alt gewordene Rocksack und die junge Dame fertig sind, Rod sich die beim Sex gelockerte Krawatte wieder festzurrt und gerade die Trophäe (die Riemchensandalen) außen an die Tür hängen will, kommt zufällig ein Fotograf vorbei und macht den Schnappschuss, der anderen alten Säcken, die am liebsten den ganzen Tag „Sailing“, „Do ya think I’m sexy“ und „Maggie Mae“ hören, beweisen soll, dass Rockröhren noch immer einen unglaublichen Schlag bei sexy Backfischen haben.
Aber das ist nur meiner Fantasie entsprungen. Vielleicht handelt es sich ja auch um Rod Stewarts Frau, die mit über 60 immer noch die Beine einer Tänzerin hat, und Rod hat mal wieder versucht, den Champagner aus ihren offenen Riemchensandalen zu trinken, und sie ist vor Lachen auf den Tisch gefallen. Oder es sind die Beine der Saxofonistin, und Rod hat ihr den Tisch angeboten, weil sie sich beim Solo den Knöchel verstaucht hat – weiß ich’s? Ich gehe schließlich nicht zu Rod-Stewart-Konzerten, denn ich hasse „Sailing“, „Baby Jane“, „Do ya think I’m sexy“ und das, was Rod laut Plakat neuerdings zu machen scheint: The American Songbook, das bedeutet, er singt zu Karaoke-Untermalung Hits aus dem 20. Jahrhundert nach, die andere Menschen schon besser gesungen haben. Zum Beispiel „Time after time“ oder „As time goes by“, wobei die Häufung des Sujets der Vergänglichkeit im Text nichts mit einem eventuellen Rückzug in spe aus dem Showgeschäft zu tun haben, der endlich verdammt mal an der Zeit wäre.
Kein Wunder, dass ich fast einen die Straße überquerenden Senioren überfahren habe, als ich neulich vor dem Rod-Stewart-Poster ins Grübeln kam und irgendwann wütend auf das Gaspedal drückte, obwohl meine Ampel rot und das Männchen für den Alten grün war. Vielleicht hätte ich einen Menschen daran hindern können, ein Ticket für das Konzert zu kaufen. Aber der Alte war doch noch zu gut zu Fuß.
Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST & CHOLERA Fragen zum Rocksack? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN