JEAN PETERS POLITIK VON UNTEN : Sehnsucht im Schlussverkauf
Zwischen Hüpfburg und Sekt: Clowns reden mit Kindern über alles. Auch über Tabus. Eltern mögen das nicht
Als Clown werde ich in die unmöglichsten Situationen geworfen. Etwa in eine Meute überzuckerter Kinder in einer Garageneinfahrt. Hüpfburg und Kroko-Techno. „Schau, Kind, ich hab dir auch noch einen Clown gekauft“, ruft der beschwipste Papa, der mit anderen Eltern Erdbeersekt schlürft. Er nimmt noch einen Schluck.
Ach ja. Seit der narzisstische Individualismus um sich greift, stehen Stimmungsaufheller hoch im Kurs. Wie Alkohol. Oder Clowns. In jedem Fall aber Stimmungsaufheller, die authentisch und poetisch sind – oder machen. Willkommen im Kapitalismus, Baby. Wenn du durch die Einkaufsschneise der Vermarktung fließt, bekommst du als Clown eine perverse wie ehrenvolle Aufgabe: gegen den Ausverkauf der Sehnsüchte zu kämpfen.
Was auf der Bühne passiert, ist eine ganz andere Nummer. Da zählt nur der Moment, die Liebe zur Situation und die Komplizenschaft mit dem Publikum. Dass ich die Pupser mitnehme, auf Entdeckungsreise der Augenblicke. Dorthin, wo Autoritäten verschwimmen – denn, so sagte schon Schiller, „der mächtigste von allen Herrschern ist der Augenblick“. Dank dem Augenblick kann ein Impuls, der in den Raum geworfen wird, hin und her springen. Ohne irgendwo abzuprallen.
Wenn ich jongliere, pennt jedes Mal einer meiner Jonglierbälle ein und die Kinder helfen mir, ihn zu wecken. Das ist ein kleiner soziologischer Moment: Achtzig Prozent der Kinder schreien, hauen oder kitzeln, um den Ball wach zu kriegen (was gar kein Problem ist, solange Bälle keine Gewerkschaft gründen können). Doch am vergangenen Samstag rief der schnuckelige Tom: „Töten!“
Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen. Ich: „Wie können wir den Ball wecken?“ Er: „Töten!“ Töten! Aus Angst vor dem Knirps habe ich mich erst mal hinter meinem Koffer versteckt. Dort überlegte ich. Eigentlich war das kein schlechter Vorschlag. Töten macht doch Spaß, wenn es nur im Spiel geschieht. Wie oft wird der Tod verzerrt! Ob als Tabu oder als Hollywoodgemetzel.
Töten, das war ein guter Vorschlag. Ich hätte Toms Komplize werden und es versuchen sollen. Wenn das mit dem Töten nicht geklappt hätte, hätten wir ja noch mal zärtlich kitzeln können. Zumindest versuchsweise.
So laufe ich als Clown auch mal Gefahr, von zahlenden Eltern gehasst zu werden: Wenn ich reflektiere, was mit viel Mühe von Kindern weggefegt wurde. Egal, in welchem Haushalt. Beim Polizisten, beim Pfarrer oder Banker.
Alain Badiou sagt, die Liebe ist das Vertrauen auf den Zufall. In dem Sinne ist sie eine sehr liebevolle Arbeit, die Arbeit als Clown. Auch wenn der Zufall es ab und zu will, dass ich so manchen Elternteil gern in einen Sack voll Liebe stecken würde.
■ Der Autor ist Clown und politischer Aktivist Foto: S. Noire