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Archiv-Artikel

JACQUES CHIRAC RISKIERT EIN SCHEITERN DER WTO-VERHANDLUNGEN Dissonanz auf offener Bühne

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac hat wieder einmal den Hasen abgeschossen. Mit seiner Drohung, die WTO-Verhandlungen in Hongkong zur Not mit einem Veto zu blockieren, um die europäischen Agrarsubventionen zu schützen, hat er die Glaubwürdigkeit der EU weiter geschwächt. Die US-amerikanische Regierung, die die Konstruktion „Europäische Union“ nicht so richtig ernst nimmt, kann sich bestätigt fühlen.

Einmal mehr wird deutlich, dass es den mittlerweile 25 Regierungen bisher kaum gelingt, in internationalen Konflikten mit einer Stimme zu sprechen. Der Irakkrieg war kein Einzelfall. Und so ist der Spruch des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Henry Kissinger, er wisse nie, welche Nummer er wählen soll, wenn er Europa anrufen will, genauso aktuell wie in den 70er-Jahren.

In der gegenwärtigen Situation zeigt sich krass das Problem der nach wie vor notwendigen Einstimmigkeit bei Entscheidungen. Es reicht völlig aus, dass ein einziges Land – in diesem Falle Frankreich – Nein sagt, um den EU-Handelskommissar Mandelson auf dem globalen Parkett handlungsunfähig zu machen. Dadurch wird die Position der Europäer nachhaltig geschwächt. Für Mandelson wird es nämlich nun, nachdem alle Welt um die innereuropäischen Konflikte Bescheid weiß, um einiges schwieriger, die europäischen Forderungen gegen die starken USA und die Entwicklungsländer durchzusetzen.

Dabei stellt sich zunächst nicht die Frage: Wer hat Recht – Chirac oder Mandelson? Wenn ein EU-Mitgliedsland mit der Verhandlungsstrategie der Kommission nicht einverstanden ist, sollte seine Regierung durchaus das Recht haben, das kundzutun. Nur wäre es für das Wohl und Image der gesamten Union besser, das hinter gut verschlossenen Türen zu tun und die eigene Position nicht – wie Jacques Chirac auf ewigem Stimmenfang – medienwirksam zu vermarkten. Denn so droht im schlimmsten Falle das Scheitern der WTO-Verhandlungen in Hongkong. Und davon hätten auch die französischen Bauern rein gar nichts. RUTH REICHSTEIN