■ Israel deportierte 415 Palästinenser ins Niemandsland: Rabin schoß ein Eigentor
Mit dem einmütigen Beschluß, 415 Anhänger der islamischen „Hamas“-Bewegung „zeitweilig“ in den Libanon abzuschieben, hat Rabins Regierung ein Eigentor geschossen. Zu den weiterhin ungelösten und durch die Massendeportation nur verschärften Intifada-Problemen sind jetzt mit den unerwartet deutlichen Verurteilungen durch Washington und den Sicherheitsrat neue internationale Komplikationen hinzugekommen und zusätzliche Hindernisse auf dem Weg zu einer politischen Lösung des israelisch-arabischen Konflikts entstanden.
Von einer zumindest zeitweiligen Lahmlegung der „Hamas“ und einer Schwächung des Widerstandskampfes der Palästinenser überhaupt, die sich die Regierung Rabin nach ihren eigenen Worten von der massiven Blitzoperation versprochen hat, kann keine Rede sein. Alles spricht jetzt für noch wütendere Reaktionen und eine Eskalation des Widerstandskampfes auf breitester Grundlage, sobald Israel das nun wochenlang bestehende Ausgehverbot und die militärische Abriegelung der besetzten Gebiete aufhebt.
Die Palästinenser sehen in der Deportation einen höchst gefährlichen Präzedenzfall für zukünftige Bevölkerungs-Transfers, insbesondere da der Befehl dazu ausgerechnet von einer Regierung der Arbeiterpartei mit dem linksliberalen Meretz-Block als Koalitionspartner erteilt wurde und nicht von rechtsextremen Parteien kam, die bis im Sommer 1992 immerhin 15 Jahre ununterbrochen an der Macht waren und vom „Palästinensertransfer“ nur zu träumen wagten.
Die Deportation hat die verschiedenen politischen und religiösen Organisationen in der besetzten Westbank und im Gaza-Streifen (jedenfalls zeitweilig) geeint. So breite Protestdemonstrationen unter der gemeinsamen Beteiligung der ansonsten verfeindeten PLO und „Hamas“ hat es vor der Massendeportation kaum gegeben: Jetzt stehen sie, selbstverständlich zum Verdruß der israelischen Behörden, ganz im Vordergrund des allgemeinen Interesses – nicht nur in Israel selbst, sondern auch „draußen“, auf der Führungsebene in Tunis. Mit dieser Aktion, so verlautbarte das amtliche Jerusalem, habe sich Israel in die erste Reihe der Vorkämpfer gegen die neue Weltgefahr, den vor allem von Teheran ausgehenden islamischen Fundamentalismus, gestellt. Doch wenn die Anzeichen nicht trügen, hat sie diesem durch die völkerrechtswidrige Maßnahme im Gegenteil weiteren Auftrieb gegeben. Amos Wollin, Tel Aviv
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