Island war in puncto Familienpolitik Schlusslicht Europas – heute ist es Vorbild : Sprung an die Spitze im Jahr 2000
taz-Serie: Elternzeiten anderswo. Teil III: Island. Deutschland führt zum Jahr 2007 das Elterngeld ein. Die taz beschreibt Familienpolitik weltweit. Bislang am 14. Juni: Finnland. Am 16. Juni: Russland
„Es war plötzlich klar, dass wir das anders haben wollen.“ Der Journalist Ólafur Stephensen kann nur schwer erklären, wie man in Island den Quantensprung geschafft hat. Von einem grottenschlechten System, mit lachhaftem Elterngeld unterhalb des Minimallohns zu einer der vorbildlichsten Elterngeldregelungen Europas.
Im Wahlkampf 1999 hatten Frauen der ehemaligen Frauenpartei das Thema erstmals auf die Tagesordnung gesetzt. Ein Jahr später verabschiedete das Parlament eine Quotenregelung: Seither stehen isländischen Eltern neun Monate Elternurlaub zu. Drei Monate der Mutter, drei dem Vater – den Rest können sie nach eigenem Wunsch aufteilen. In dieser Zeit zahlt ihnen der Staat 80 Prozent ihres bisherigen Bruttoeinkommens.
Es muss mit dieser gleichstellungsorientierten Elterngeldregelung zusammenhängen, dass sich Island seit 2000 in zwei Punkten zur europäischen Spitze hochgearbeitet hat: Die Geburtenrate liegt bei 1,9 Kindern pro Frau, die Frauenerwerbsquote beträgt 79 Prozent.
Der Journalist Stephensen hatte sich schon damals im Kampf um eine Neuregelung der Rechte von Eltern mit Kleinkindern engagiert. Schließlich brannte ihm das Thema selbst unter den Nägeln, nachdem seine Frau eine Anstellung nicht bekommen hatte. Im Bewerbungsgespräch hatte sie auf die Frage „Wollen Sie Kinder?“ mit Ja geantwortet. „Es musste etwas geschehen, damit Männer für den Arbeitgeber eine ähnlich unberechenbare Arbeitskraft wurden wie Frauen.“
Heute bleibt der isländische Durchschnittspapa etwa 100 Tage bei seinem Neugeborenen zu Hause. Ungefähr 85 Prozent nehmen ihren Teil des Elternurlaubs wahr. Vor Einführung der Quotenregelung lag dieser Anteil bei 0,1 Prozent. Nach dem Elternurlaub stehen Mutter und Vater dem Arbeitsmarkt schnell wieder zur Verfügung – denn mit der Einführung von Elterngeld und Quotenregelung hat Island auch sein Kinderbetreuungssystem massiv ausgebaut.
Seit der Jahrtausendwende hat die Nordatlantikinsel ihre Ausgaben für Familien und Kinder massiv erhöht und liegt heute über dem europäischen Durchschnitt. Allerdings ist dies weniger hehren Gleichstellungsidealen, als dem Arbeitskräftehunger der boomenden isländischen Wirtschaft geschuldet – seit Jahren liegt die Arbeitslosenrate konstant bei nur drei Prozent. Und gerade die die Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt – auch, weil sie im Schnitt nur zwei Drittel des männlichen Durchschnittslohns verdienen. Umso größer ist der Druck auf den Staat, gute Rahmenbedingungen für die weibliche Erwerbstätigkeit zu schaffen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die vorbildliche Familienförderung auch in einer Wirtschaftskrise beweisen kann. REINHARD WOLFF