: Irritierender Derrida
betr.: „Jacques Derrida ist tot. Oder?“, taz vom 11. 10. 04
Die Behauptung, Derrida sei gestorben, ist nicht wahr; denn keine Behauptung ist wahr, und Derrida sei gestorben ist eine Behauptung. Allerdings ist es eine – von Derrida gemachte – Behauptung, keine Behauptung sei wahr. Wenn sie also wahr ist, ist sie nicht wahr (und auch umgekehrt: sie ist nicht wahr, wenn sie wahr ist)…
Schade, dass Jacques Derrida über diese als bestätigende Anwendung des Dekonstruktivismus lesbaren Zeilen – also die Bestätigung seiner Theorie durch Widerlegung durch … u. s. w. ohne Ende – nicht mehr lächeln kann; zumindest nicht mehr in diesem Universum.
BERNHARD WAGNER, Rostock
betr.: „Das Orakel als Star“, taz vom 11. 10. 04
Ich bin selbst seit langem ein interessierter, bisweilen faszinierter und – da ich mit dem Französischen auf Kriegsfuß stehe – des öfteren überforderter Leser der Texte von Jacques Derrida. Einen Artikel wie den von Marco Stahlhut in der taz vom 11. Oktober halte ich trotzdem (oder gerade: deswegen?) für wichtig. Er enthält allerdings eine Fehleinschätzung, der man häufig begegnet: dass Derrida in den 90er-Jahren – sprichwörtlich – in aller Munde gewesen sei. Das gilt vielleicht für die beiden Berliner Universitäten. Dazu kommen dann noch ein halbes Dutzend Orte; sie mögen München, Bielefeld, Kassel oder dergleichen heißen.
Der Normalzustand war jedoch auch in den 90ern die vollständige Ignoranz. Fest stand die Wacht am Rhein. Und östlich davon konnte man wunderbar mit Lämmert, Stanzel und ein bisschen Gadamer in die Promotionsphase gleiten. In Heidelberg (!) erfahren Studierende des Faches Germanistik bis heute nichts von der Gadamer-Derrida-Diskussion. Dafür erfahren sie umso mehr über Ernst Jünger und Richard Wagner. Und über Martin Walser, den armen Verfolgten und begnadeten Komödienschreiber.
Wenn ich heute einen Namen wie Derrida in der Institutskonferenz fallen lasse, schaue ich in irritierte Gesichter.
MICHAEL BAUM, Karlsruhe
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