piwik no script img

Archiv-Artikel

Irene Moessinger auf dem Rückzug

Die Tempodrom-Gründerin lässt sich noch mal loben und entschuldigt sich für die Finanzmisere. Die Hauptsache sei nun, dass die Kulturarena auch nach der Insolvenz weiter betrieben werde – zur Not auch ohne Moessinger selbst

Ein abgedunkelter runder Raum mit Stufen ringsherum. Die „kleine Arena“ des Tempodroms am Anhalter Bahnhof. Im Scheinwerferlicht ein Tisch. Wo sonst Künstler stehen, treten an diesem Donnerstagmorgen die Tempodrom-Chefs selbst auf. Irene Moessinger, die Exkrankenschwester, die vor 24 Jahren mit einer Erbschaft ein Zirkuszelt kaufte und daraus das Tempodrom machte. Und Norbert Waehl, seitdem ihr Kompagnon. Beide in der Manege zur Entschuldigung und Rechtfertigung.

Moessinger und Waehl haben zur Pressekonferenz geladen. Schon vor der Entscheidung des Senats vom Dienstag, den 30 Millionen Euro teuren Bau pleite gehen zu lassen, lag die Einladung auf dem Tisch. „Wegen der aktuellen Ereignisse umso wichtiger“, bestätigten die beiden anschließend den Termin. Sie warten nicht allein auf die Journalisten. Über 50 Mitarbeiter, Veranstalter, Freunde sind gekommen, um Moessinger, Waehl und das Tempodrom zu loben und für unersetzlich zu erklären. Und um rund 100 Jobs zu sichern.

Das tun sie gut eine Stunde lang. Eloquentester Fürsprecher ist der Kabarettist und Tempodrom-Mitgründer Arnulf Rating. Vergleiche des Projekts mit der Misere der Bankgesellschaft nennt er zynisch. „Selbst wenn man alle Subventionen zusammenrechnet, kommt man auf eine Summe, mit der man die drei Opern der Stadt kein halbes Jahr finanzieren könnte.“

Moessinger gibt vor dem Reigen der Solidaritätsbekundungen die Selbstlose: Ob mit ihr oder jemand anders, sagt sie sinngemäß, Hauptsache, das Tempodrom lebe weiter. Für die Finanzmisere entschuldigt sie sich: „Es tut mir unendlich leid.“ Ihre Finger zittern leicht, während sie spricht. „Sie können sich sicher vorstellen, dass es mir schwer fällt, diese Pressekonferenz durchzuführen“, hat sie eingangs gesagt.

Auch unternehmerisches Scheitern räumt sie ein. „Es ist uns nicht gelungen, die Kostenexplosion zu verhindern und auch nicht, den Betrieb so aufzustellen, dass er den gesamten Kredit bedienen kann“, sagt Moessinger. Sie will sich das ganz anders vorgestellt haben: „Wir waren wirklich der Meinung, dass dieses Haus in dem Kostenrahmen entsteht, der geplant war.“ Im Dunkeln soll dabei nichts gelaufen sein: Die Finanzierung sei „transparent und immer bekannt“ gewesen.

Ihr Kompagnon Waehl sieht die Entscheidung über das Tempodrom und ihrer beider Zukunft beim noch zu benennenden Insolvenzverwalter und bei der Landesbank als größtem Gläubiger. Von der will er positive Signale haben. Man habe Mittwoch telefoniert. Die Landesbank (LBB) sei am weiteren Betrieb interessiert, verzichte auf Maßnahmen, die das gefährden könnten. Die Kredite, für die auch Moessinger und Waehl persönlich haften, würden vorerst nicht eingefordert. Alles andere wäre laut Waehl das Aus. Die LBB mag dieses Telefonat weder bestätigen noch dementieren. Zu Kundenbeziehungen äußere sich die Bank nicht, sagt Sprecherin Christine Peters der taz.

Waehl verweist auf 500 Veranstaltungen mit 800.000 Besuchern seit der Eröffnung am Anhalter Bahnhof im Dezember 2001. „Deshalb sind wir sicher, dass der Betrieb hier reibungslos weiter laufen kann.“ Dieses Jahr seien bereits 220 Veranstaltungen gebucht – 170 davon in der großen Arena mit bis zu 3.700 Plätzen, das Jahresziel liege dort bei 180 Events.

Stornierungen, die sich direkt auf die Insolvenz-Entscheidung des Senats bezogen, soll es nicht gegeben haben, stattdessen zwei weitere Buchungen. Falls das als Symbol zu werten ist, hat das Tempodrom einen prominenten neuen Unterstützer: Im August soll Woddy Allen mit seiner Klarinette gastieren. STEFAN ALBERTI