Interview: "Ein Ausländer zu sein, spürte ich das erste Mal in West-Berlin"

Im Griechischen Bürgerkrieg, der im Oktober vor 60 Jahren endete, flohen 100.000 Menschen in Ostblockländer. Die DDR nahm 1.128 Flüchtlinge auf, auch die Eltern von Andreas Murkudis, die 1973 nach West-Berlin zogen.

taz: Herr Murkudis, in welcher Form hatten sich Ihre Eltern am Griechischen Bürgerkrieg beteiligt und wie kamen sie in die DDR?

Andreas Murkudis: Beide waren während des Bürgerkriegs noch Teenager und flohen mit den Partisanen über die nahen Grenzen. Wenn Sie so wollen, gehörten sie zur Partisanenbewegung. Man schickte sie in die DDR, während meine ebenfalls geflohenen Großeltern in die Tschechoslowakei gebracht wurden. Auf die Wahl des Exils hatten sie keinen Einfluss, und meine Großeltern fühlten sich in der CSSR auch nicht sonderlich wohl.

Wie erging es Ihnen in Ihrer Geburtsstadt Dresden?

Ich habe mein Leben in Dresden sehr genossen. Fremdenfeindlichkeit ist mir dort nie begegnet. Ich fühlte mich weder als Grieche noch als Deutscher, sondern als Teil der DDR.

Gab es Kontakt zu anderen Bürgerkriegsflüchtlingen?

Und ob! Dresden, Leipzig, das waren Städte mit sehr vielen Bürgerkriegsflüchtlingen. Alleine in meiner Schule zählten wir vier bis acht griechische Kinder, die sogar täglich eine Stunde Griechisch-Unterricht bekamen. Um ein weiteres Beispiel zu geben: In dem Haus, in dem wir lebten, wohnte nur eine deutsche Familie. Wenn ich mich richtig erinnere, zählten wir in den vier Wohnblocks unserer Nachbarschaft zirka 30 griechische Familien. Man traf sich und man feierte gemeinsam.

Das hört sich nach einer unbeschwerten Jugend an.

Das war sie auch. Ich habe keine negativen Erinnerungen an das Leben in der DDR. Allerdings war ich erst zwölf Jahre alt, als meine Eltern 1973 nach West-Berlin zogen. Also noch zu jung, um die DDR möglicherweise kritisch zu sehen.

Was führte Ihre Eltern nach West-Berlin?

Ursprünglich wollten sie über West-Berlin nach Griechenland ausreisen, denn meinen Großeltern dort ging es gesundheitlich schlecht. Doch die griechische Vertretung in Berlin erklärte uns zu unerwünschten Personen. Die Einreise wurde verweigert und wir landeten in einem Aufnahmelager. Erst 1979 durften meine Eltern nach Griechenland zurückkehren.

Wie haben Sie den Umzug nach West-Berlin erlebt?

Es war ein Kulturschock. Es fing schon damit an, dass ich in der Schule wegen meines Sächsisch gehänselt wurde. Zudem spürte ich zum ersten Mal in West-Berlin, was es heißt, ein Ausländer zu sein. Unsere Familie musste jedes halbe Jahr ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen. Eine menschenunwürdige Prozedur. Zwischen 6 und 9 Uhr zur Behörde, in der Hoffnung, noch am selben Tag einen Termin zu bekommen. Dann die Unfreundlichkeit der Mitarbeiter, die beispielsweise mit mir sprachen, als ob ich kein Deutsch verstehen würde. Dabei lasen sie in meinen Papieren, dass ich in Dresden geboren wurde. Doch davon abgesehen waren wir natürlich mächtig beeindruckt vom gewaltigen Konsumangebot der Stadt. Wir aßen so viele Bananen in den verschiedensten Varianten, dass mir später alleine beim Gedanken daran schlecht wurde.

Sie haben dann Kunstgeschichte studiert, für das "Museum der Dinge" gearbeitet und später Modeläden eröffnet. Gab es für Sie auch die Option, wie Ihre Eltern nach Griechenland zu emigrieren?

Nein. Tatsächlich sind fast nur die Menschen im Rentenalter zurückgekehrt. Von den Jungen sind 80 bis 90 Prozent hier geblieben. In Griechenland eine gute Arbeit zu finden oder etwas aufzubauen, ist äußerst schwierig. Nichts geht voran. Zudem ist das Gesundheitssystem eine Katastrophe. Die Hygiene schlecht. Ich könnte mir in Griechenland durchaus meinen Alterssitz vorstellen, denn das Land mit seien unzähligen Inseln ist wunderschön und die Mentalität der Menschen gefällt mir. Aber zurzeit würde ich dort höchstens Urlaub machen.

Welche Gefühle überwogen beim ersten Griechenlandbesuch?

Es war natürlich eine sehr emotionale Rückkehr, im positiven wie im negativen Sinne. Die Ankunft im Dorf meiner Mutter geriet zum großen Freudenfest, während die Verwandten im Dorf meines Vaters dessen Rückkehr ablehnten. Ich hatte wiederum Angst, dass mich die griechische Armee zum Militärdienst einziehen könnte.

Wie erklären Sie sich das entgegengesetzte Verhalten der Verwandten?

Im Ort meiner Mutter gab es eine ganz besondere Dorfsolidarität, die vielleicht damit zu tun hat, dass die Dorfbewohner während der deutschen Besatzung in eine Kirche eingesperrt wurden und diese angezündet werden sollte. Zum Glück ist dieses Vorhaben nicht in die Tat umgesetzt worden. Das Ereignis hat die Menschen dennoch zusammengeschweißt. Dagegen wurde mein Vater nach all den Jahren der Abwesenheit als Fremder wahrgenommen.

Zurzeit dreht sich ja alles um das Jubiläum 20 Jahre Mauerfall. Wie erlebten Sie den 9. November 1989?

Ich freute mich sehr für die Menschen, die diesen Tag feierten. Die Mauer musste fallen. Da ich positive Erinnerungen mit der DDR verband, hielt sich meine Freude jedoch in Grenzen. Die meisten Menschen verstanden Freiheit als die Freiheit, konsumieren und reisen zu können. Dennoch habe ich in der Nachbetrachtung das Gefühl, dass die Menschen in der DDR glücklicher waren als heute. Was beim Blick auf die wachsende Armut und Perspektivlosigkeit auch nicht verwundert.

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