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■ Interview"Mehr Militär als Bewohner"

Interview

„Mehr Militär als Bewohner“

Torsten Rückoldt ist Asyl-Anwalt in Brake/Unterweser. Er gehört zu der Oldenburger Delegation, aus der heraus Nulifer Koc am Mittwoch verschleppt wurde. Wir sprachen mit ihm telefonisch im kurdischen Diyarbakir.

taz: Wie ist es zur Verhaftung von Nulifer Koc gekommen?

Torsten Rückoldt: Wir waren den Abend vorher zwangsweise einquartiert in der Militärstation von Kludere und wurden am nächsten Morgen gegen unseren Willen mit einem Militärkonvoi nach Sirnak gefahren. Dort sind wir zur Sicherheitspolizei gebracht worden. Nach verschiedenen Verhören wurde Nulifer zwangsweise von uns getrennt und vom Militär in bewaffneten Fahrzeugen weggebracht. Uns wurde gesagt, sie solle verhört werden, und in zwei Stunden könnten wir sie in der nächstgelegenen Kreisstadt Cizre wieder in Empfang nehmen. Das war das letzte Lebenszeichen, das wir von ihr haben.

Gab es eine Begründung für die Verhaftung?

Eigentlich nicht. Kurzfristig wurde gesagt, in ihrem Paß stünde statt „Studentin“ „Arbeiterin“. Aber das schien mir doch eher ein vorgeschobenes Argument zu sein.

Ihr habt versucht, in Cizre Kontakt zu ihr zu bekommen?

Ja, aber in Cizre hat uns die Polizei gesagt, von Nulifer sei nichts bekannt. Alles deutet darauf hin, daß das nur ein Versuch war, uns aus der Stadt Sirnak herauszubringen.

Warum glaubt Ihr, daß Nulifer nicht bei der Polizei, sondern beim Militär in Haft ist?

Sie ist ja in Sirnak von bewaffneten Militärfahrzeugen bei der Polizeistation abgeholt worden. Und man hat uns auch gesagt, sie würde auf die Militärstation gebracht. Außerdem ist die Militärstation in Sirnak dafür bekannt, daß dort schon öfter Inländer verhaftet und teilweise sogar monatelang festgehalten worden sind.

Der Menschenrechtsverein in Diyarbakir setzt sich jetzt für Nulifer ein. Hat er etwas herausfinden können?

Der Menschenrechtsverein wird überall abgeblockt. Wenn er anruft, dann heißt es immer nur, es sei keiner da. Die Informationen, die wir hier haben, kommen vorwiegend aus Deutschland — über die deutsche Botschaft, mit der wir hier ständig Kontakt haben. Die haben die Bestätigung erhalten, daß in Sirnak eine Dolmetscherin verhaftet wurde, aber wo sie sich befindet, wisse man nicht.

Was war der Zweck Eurer Reise nach Kurdistan?

Wir alle sind politisch involviert, drei von uns gehören zum Oldenburger Arbeitskreis Asyl, ich selber war schon mehrmals aus beruflichem Interesse in Kurdistan. Wir wollten uns vergewissern, wie die Zustände zur Zeit sind.

In Cizre haben wir in einem Hotel übernachtet, daß kurz zuvor beschossen worden war. In der Nacht sind dort gepanzerte Polizeifahrzeuge aufgefahren und haben wahllos die Straße beschossen. Das sollte zur Einschüchterung der Bevölkerung dienen.

Wir haben am nächsten Morgen dann aber noch ein Gespräch mit der Zeitung Gündem führen können. In Sirnak war gar kein offenes Gespräch mehr möglich. Da ist mehr Militär stationiert als Einwohner noch vorhanden sind.

Fährt Eure Delegation jetzt ohne Nulifer zurück?

Vermutlich werden einige von uns hierbleiben und andere morgen zurückfahren. Wir halten es für nötig, daß weiterhin öffentlicher Druck produziert wird, weil das offensichtlich der einzige Weg ist, die Türkei zum Einlenken zu bewegen. Wir wollen dann versuchen, aus Deutschland möglichst bald eine neue Delegation zusammenzustellen, die sich ausschließlich für Nulifers Freilassung einsetzt.

Fragen: Dirk Asendorpf

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