Interview: „Musik ist ja nie heiter...“
■ Im Gespräch: Christoph Loy über die frisch ausgegrabene Prachtoper „La Gioconda“/ Heute Premiere
Heute abend hat am Bremer Goetheplatz-Theater eine „La Gioconda“ Premiere, die lange Zeit vergessen war: Komponiert von Almicare Ponchielli, 1876 in Mailand uraufgeführt, heute fast nur noch in der Veroneser Sanges-Arena aufgeführt. Große Tableaus und riesige gesangstechnischen Forderungen prägen die Oper. Eine Tragödie um Liebe und Eifersucht, um Verraten und Verzeihen, um Inquisition und Karneval, zwischen Mord und Selbstmord; alles im Venedig des 17. Jahrunderts. Wie das Stück nun nach Bremen kommt, und was das Theater hier damit anfängt, erzählte der Stuttgarter Regisseur Christoph Loy.
taz: Herr Loy, zuerst einmal: warum? Das Stück hat eine geradezu krause Dramaturgie, die Musik kann an die psychologische Kunst eines Verdi oder die fulminante Bühnenwirksamkeit eines Puccini nicht heranreichen. Haben Sie sich das Stück ausgesucht?
Loy:Es war meine Wahl. Es gibt einmal die Vorgabe, daß ich unbedingt wieder etwas mit Rebecca Turner machen wollte, die die Gioconda singt. Dann riskiere ich gern etwas, und ich bin von dieser unbekannten Musik unglaublich angezogen. Es ist ganz falsch, das Stück mit diesen großen Werken zu vergleichen: Es ist erstens ein großes Chorstück, es bietet in fünf Akten fünf ungeheuer verschiedene Atmosphären. Es gibt einen Karnevalsakt, ein Bild Meer, ein fest im Palast, dann den Schlußakt auf der Insel, der in eine andere Zukunft führt. Wenn man nicht etwas Realistisches erwartetet, sich dieser „krausen“ Struktur nicht entgegenstellt, sondern sie im Gegenteil macht, wird das Stück enorm lebendig.
Können Sie das noch etwas genauer sagen, in Bezug auf die Dramaturgie und die großen rein sängerischen Anforderungen?
Ich respektiere die Vorgaben und arbeite genau damit: Die fünf Akte sind fünf große Zellen und innerhalb dieser Zellen entdecke ich die Mosaiksteinchen. Ein Monolog ist ein Monolog, da muß ich nicht mehr nach der Logik des Zusammenhanges fragen. Und das Stück lebt von den Sängern: Sechs leidenschaftliche Figuren – sehr gute SängerInnen alle – das gibt einen spannenden Musiktheaterabend.
Welche dramaturgische Funktion hat denn das Singen?
Das ist ja die Faszination der Oper überhaupt. Gute Musik erzählt vom verlorenen Schönen, Musik ist ja nie heiter – wer war das, der das gesagt hat?...
Franz Schubert. Es gibt von ihm das Zitat: Sie fragen nach heiterer Musik? Ich kenne keine.
Ja, genau. Musik erzählt von der Sehnsucht, und das wird natürlich jahrhundertelang am ergreifendsten durch die menschliche Stimme dargestellt.
Was bedeutet für Sie der inflationär gebrauchte Begriff Werktreue? Gibt es für Sie so etwas wie eine historische Voraussetzung für Stilfragen der Inszenierung?
Ja, natürlich, aber ich arbeite nicht so. Bei mir passiert das instinktiv, ich werfe mich bei der Musik zunächst auf die Dinge, die mich anspringen und hole mir erst dann die musikhistorischen Kenntnisse. Daß ich die dann einarbeite, ist für mich selbstverständlich.
Viele der Schauspielregisseure kommen irgendwann zur Oper. Bei Ihnen ist es umgekehrt, Sie sind von Haus aus Opernregisseur und machen mehr und mehr Schauspiel. Warum?
Als ich Mozarts „Entführung aus dem Serail“ inszenierte, haben mir die Dialoge so viel Freude gemacht: da konnte ich nämlich sozusagen selbst komponieren, einen Raum schaffen, den mir sonst die Musik abnimmt. Das reizt mich. Das ist übrigens auch die Gefahr bei den Operninszenierungen, die Musik sozusagen für die Inszenierung zu halten, sich da reinzusetzen. Man muß immer noch einmal ein Drittes finden im Verhältnis zum Text und zur Musik.
Ute Schalz-Laurenze
Heute, 20 Uhr, Theater am Goetheplatz
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