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Interview zu Digitalisierung im Gefängnis Tunnelblick nach draußen

Für die Resozialisierung sind Medien in der Haftzeit wichtig. Doch von einem freien Internet-Zugang sind deutsche Gefängnisse weit entfernt. Ein Interview mit dem Gefängnispädagogen Peter Stahl.

Noch immer nicht normal: Haftzellen mit Computer kommen nicht so schnell, wie Printmedien gehen Foto: dpa | Swen Pförtner

Im Knastabo-Interview: Peter Stahl, Pädagogischer Dienst, Justizvollzugsanstalt Ottweiler, Saarland

Herr Stahl, Sie sind gemeinsam mit einer Kollegin in der Pädagogischen Abteilung der JVA Ottweiler im Saarland tätig, was können Sie uns über Ihre Tätigkeit berichten?

Ich bin seit 1996 zuständig für die schulischen und beruflichen Bildungsmaßnahmen der jugendlichen Inhaftierten. Als pädagogische Zugangsabteilung führen wir parallel zum Sozialdienst Zugangsgespräche durch, in denen wir primär den bisherigen schulischen und beruflichen Werdegang der Jugendlichen aufarbeiten. Die besondere Aufmerksamkeit liegt auf der Frage, wo sich einerseits Defizite, aber auch andererseits Ressourcen der Inhaftierten feststellen lassen. Dabei kommen spezielle Kompetenz-, Sprach- und Schultests zum Einsatz.

Anhand der Ergebnisse wird im Anschluss in Kooperation mit anderen Fachdiensten und Akteuren der Anstalt und natürlich gemeinsam mit den Gefangenen ein Vollzugsplan erstellt, der individuelle, am jeweiligen Bedarf orientierte Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen für jeden der Jugendlichen vorsieht und der hinsichtlich einer größtmöglichen Nachhaltigkeit auch eine Perspektive nach der Haftentlassung berücksichtigt.

Dafür steht im schulisch-beruflichen Bereich ein umfangreiches Angebot zur Verfügung, das das gesamte schulische Spektrum vom Sprach- und Elementarbildungsunterricht bis hin zu Schulabschlüssen sowie derzeit 10 Ausbildungsberufe inklusive diverser Teilqualifikationen bereithält. Neben den justizeigenen Lehrkräften stehen dafür zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer eines Berufsbildungszentrums sowie nebenamtlich Unterrichtende zur Verfügung. Unterricht und Ausbildung finden in der anstaltseigenen Schule sowie in den Werkbetrieben der JVA Ottweiler statt.

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Können Sie uns die Justizvollzugsanstalt Ottweiler kurz beschreiben?

Die JVA Ottweiler wurde in den 70iger Jahren ursprünglich speziell für den Jugendstrafvollzug konzipiert. In den 80iger Jahren waren zu Spitzenzeiten hier annähernd 350 Jugendliche untergebracht. Danach ging die Zahl der inhaftierten Jugendlichen kontinuierlich zurück. Stand gestern: lediglich 54 Jugendliche.

Um die räumlichen Kapazitäten, die durch den Belegungsrückgang bei den Jugendlichen entstanden sind, nicht ungenutzt zu lassen, werden seit einigen Jahren auch erwachsene männliche Inhaftierte hier untergebracht. Stand gestern: 119 Erwachsene. Durch die unterschiedlichen Haftarten – Ersatzfreiheitsstrafe, Erzwingungshaft, Erstverbüßer mit Strafmaß bis zu 2 Jahren, Wiederholungstäter mit Strafmaß bis zu 1 Jahr – ist dadurch eine komplexe Haftsituation entstanden. Zudem ist seit Jahren ein Anstieg psychisch beeinträchtigter Gefangener zu verzeichnen, die einer intensiveren Betreuung bedürfen und oftmals nicht in reguläre Behandlungsmaßnahmen zu integrieren sind. Ebenso bringt die in den vergangenen Jahren stark gestiegene Zahl der ausländischen Inhaftierten einen nicht unerheblichen Mehraufwand mit sich: Hier müssen insbesondere spezielle Sprachlern- und Grundbildungsangebote gemacht werden. Ebenso entscheidet bei dieser Klientel hinsichtlich der Absolvierung von Berufsausbildungen sowohl innerhalb der Anstalt als auch bei der Vermittlung in externe Ausbildungsplätze der aufenthaltsrechtliche Status darüber, ob sich beruflich qualifizierende Maßnahmen überhaupt umsetzen lassen.

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taz.de/knastabo

Wie sieht die Ausstattung mit Medien insbesondere mit Computern in der Justizvollzugsanstalt aus?

Die JVA Ottweiler ist aktuell mit 11 Rechnern ausgestattet, die für Gefangene zugänglich sind und in zwei Computerräumen des Schulgebäudes stehen. Die Rechner werden primär im Rahmen der Lernplattform „eLis“ (eLearning im Strafvollzug) genutzt, stehen jedoch auch für jeglichen anderen computergestützten Unterricht zur Verfügung. Die Ausbildungsbetriebe sind leider nicht an „eLis“ angeschlossen, weil dort Inhaftierten keine eigenen Rechner zur Verfügung stehen. Auszubildende können „eLis“ nur im ausbildungsbegleitenden Fachunterricht der Berufsschule nutzen.

Die Lernplattform „eLis“ basiert auf einer getunnelten Internetverbindung, auf der z.Zt. ca. 300 Lernprogramme eingestellt sind. Das Angebot reicht im schulischen Bereich von Alphabetisierung und Elementarbildung über die Absolvierung von Schulabschlüssen bis zum Studium an der Fernuniversität Hagen. Im beruflich qualifizierenden Bereich steht für fast alle im Strafvollzug gängigen Ausbildungsmaßnahmen eine Vielfalt an Lernsoftware zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Angebote im Übergangsmanagement – beispielsweise bei der Job- und Wohnungssuche – wobei sich die Gefangenen eigene Bewerbungsmappen anlegen können, auf die sie auch nach der Haftentlassung zurückgreifen können. Leider ist die sogenannte Nachsorge in der JVA Ottweiler nicht an „eLis“ angeschlossen.

Da es für die Inhaftierten keinen direkten Zugang zum Internet gibt, werden auf den „eLis“-Rechnern in erster Linie die dort zur Verfügung stehenden Programme zur schulisch-beruflichen Bildung genutzt. Digitale Zeitungsangebote könnten nach entsprechenden Sicherheitsvorgaben zwar freigeschaltet werden, allerdings handelt es sich bei den Computerräumen um Multifunktionsklassenräume, die nur während der regulären Schulzeiten für Gefangene zugänglich sind und dann ausschließlich im Rahmen des regulären Unterrichtsplans genutzt werden.

Ist Resozialisierung ohne Digitalisierung heute noch möglich?

Wesentliches Ziel des Vollzugs ist die Resozialisierung des Inhaftierten. Wenn eine erfolgreiche Wiedereingliederung gelingen soll, kann der Vollzug die fortschreitende Digitalisierung in der Gesellschaft bei seinen Resozialisierungsbestrebungen nicht völlig außer Acht lassen. Bislang ist der überwiegende Teil der Gefangenen jedoch von diesem Prozess ausgeschlossen – und das je nach Haftdauer zum Teil über Jahre. Eine mögliche Alternative wäre die Einführung von Tablets, wie es bereits einmal im Rahmen des Berliner Projekts „Resozialisierung durch Digitalisierung“ in der JVA Heidering im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekts durchgeführt und bundesweit diskutiert worden ist.

Bei diesem Projekt hatten die Gefangenen eigene Tablets auf ihren Hafträumen. Diese Tablets boten Ihnen die Möglichkeit, einen Großteil ihres Haftalltags digital zu organisieren: Von der Meldung zur Freistunde oder zum Arzt bis hin zum Ausfüllen von Antragsformularen. Generell lassen sich Tablets sehr sinnvoll im Rahmen der Kommunikation mit der Anstaltsverwaltung einsetzen. Die individuellen Nutzungsberechtigungen bei deren Verwendung können für jeden Gefangenen personenbezogen voreingestellt werden. Je nach Status im Vollzugsverlauf können Freischaltungen bis hin zum privaten E-Mail-Verkehr bei Außenlockerungsberechtigung erfolgen. Neben der „eLis“-Nutzung wäre damit rein theoretisch auch ein Zugang zu digitalen Zeitungsportalen möglich.

Allerdings erscheint eine flächendeckende Ausstattung der Inhaftierten mit Tablets aus Kostengründen mittlerweile nicht mehr wahrscheinlich. Stattdessen geht der Trend hin zu preiswerteren Haftraummediensystemen, mit deren Hilfe man u.a. auch voreingestellte Telefonnummern anwählen kann. Welche digitalen Möglichkeiten sie darüber hinaus langfristig eröffnen können, lässt sich von meiner Seite momentan nicht konkret absehen.

Welche Rolle spielen Zeitungen und Bücher im nicht-digitalen Haftalltag?

Generell spielt das Lesen in der JVA Ottweiler nach der Einführung von Fernsehern in den Hafträumen vor ca. 15 Jahren nur noch eine untergeordnete Rolle – insbesondere bei den Jugendlichen. Bunt bebilderte Illustrierte sind schon eher gefragt. Bei den Erwachsenen ist das Interesse an Printmedien dagegen deutlich stärker ausgeprägt. Zeitungsartikel kommen im Jugendbereich insbesondere im Unterricht zum Einsatz. Damit soll neben der Informationsvermittlung oder der inhaltsorientierten Besprechung von Texten das generelle Interesse an tagesaktuellen Themen über die gedruckten Medien geweckt werden.

Was die Gefangenenbücherei betrifft, ist ein Rückgang an Quantität – in Form deutlich zurückgegangener Ausleihzahlen – und Qualität der ausgeliehenen Literatur zu verzeichnen. Die Bücherei in der JVA Ottweiler ist mit ca. 15.000 Exemplaren sehr gut bestückt. In den 80iger und 90iger Jahren wurde neben zahlreichen Klassikern der Weltliteratur auch eine Vielzahl wissenschaftlich anspruchsvoller Sachbücher angeschafft – diese sind heute leider weitgehend zu Ladenhütern geworden. Der Trend geht neben aktueller Trivialliteratur in Form von actionreichen Romanen oder Krimis hin zu eher leicht verdaulicher Kost in Form von Comics und Bildergeschichten. Eine Rolle bei der Buchausleihe spielen auch die unzureichenden Deutschkenntnisse vieler Inhaftierter. Die Auszubildenden oder Schüler abschlussbezogener Klassen bilden dagegen eine Ausnahme, weil sie vermehrt nach fachbezogenen Büchern fragen.

Das Interview führte Sybill Knobloch von „Freiabonnements für Gefangene e.V.