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Interview mit Nina Lorenzen Changing Fashion

Über die Auswirkungen der Mode auf das Klima und was sich ändern muss: Nina Lorenzen von Fashion Changers im Gespräch.

Alle fünf Minuten werden eine Million Kleidungs­stücke hergestellt. Foto:NomadSoul

taz lab, 16.04.2022 | Von CLEMENS HAUCAP

taz am wochenende: Nina Lorenzen, wann wurde Ihnen bewusst, dass Mode und Klima in Verbindung miteinander stehen?

Nina Lorenzen: Dieses Bewusstsein, dass Mode überhaupt Auswirkungen aufs Klima hat, gibt es noch gar nicht so lange. Das liegt hauptsächlich daran, dass es kaum Daten und Studien zu diesem Thema gab. 2019 fing es an, dass wir uns verstärkt darüber Gedanken gemacht haben. Das lag auch am globalen Aufschwung der Klimagerechtigkeitsbewegung, vor allem Fridays for Future. Es wurde ein neues Bewusstsein für Klimathemen geschaffen und wie verschiedene Industrien Teil des Ganzen sind. So auch die Modeindustrie.

Inwiefern denn?

Die Textil- und Bekleidungsindustrie ist in Deutschland die zweitgrößte Konsumgüterindustrie. Wir sehen zunehmend Steigerungsformen von Fast Fashion: Laut der Ellen McArthur Foundation werden alle fünf Minuten eine Million Kleidungsstücke hergestellt. Wenn wir dann sehen, dass weltweit der Anteil von synthetischen Fasern steigt – Fasern, welche auf Erdöl oder Erdgas basieren und nicht biologisch abbaubar sind – dazu noch über Mikroplastik nachdenken und uns bewusst machen, dass in Deutschland jährlich zwischen 1,1 und 1,3 Millionen Tonnen Altkleider gespendet werden, wird offensichtlich, was Mode für Auswirkungen auf unser Klima hat. Je nach Studie geht man davon aus, dass die Modeindustrie zwischen 3 bis 10 Prozent Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen hat.

Und was sind Alternativen? Müssen wir einfach weniger Mode konsumieren oder gibt es auch andere Möglichkeiten?

Natürlich gibt es Alternativen. Es gibt faire und nachhaltige Mode oder auch alternative Konsummöglichkeiten wie Verleih oder Second Hand. Jedoch ist der genaue Marktanteil von Fair Fashion nicht bekannt und wird auf unter ein Prozent geschätzt. Das Veränderungspotenzial durch Individualkonsum ist also relativ gering.

Ziemlich ernüchternd. Warum das denn?

Es ist natürlich gut, sich mit seinem Konsum auseinanderzusetzen, wenn Zeit und Geld es zulassen, aber im Endeffekt sitzen die Unternehmen am längeren Hebel. Für grundlegende Veränderungen der Modeindustrie, im Einklang mit den Pariser Klimazielen, sind Wirtschaft und Politik verantwortlich. Es braucht klare Vorgaben wie Obergrenzen im Hinblick auf Energieverbrauch. Auf politischer Ebene gibt es spannende Entwicklungen, etwa die EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien, die der linearen textilen Kette ein Ende setzen will. Nur durch Vorgaben kann sich etwas nachhaltig ändern.

Eine wichtige Rolle dabei spielt sicherlich auch der Preis. Ist nachhaltige Mode zurzeit noch zu exklusiv und teuer?

Ja, im Vergleich zum Angebot des konventionellen Markts ist nachhaltige Mode für viele Menschen unerschwinglich – auch wenn der Preis an sich gerechtfertigt ist. Gerade mit dem Aufkommen von Ultra-Fast-­Fashion-Labels wie SHEIN sehen wir eine zusätzliche Steigerung: noch mehr Produktion mit ­Tausenden neuen Teilen pro Woche – und natürlich noch mehr Konsum für noch weniger Geld. Deswegen ist es momentan auch unrealistisch, mit Blick auf die Preise für nachhaltige Kleidung zu sagen: Okay, das ist die Lösung für alle Konsument:innen. Es ist derzeit nicht gegeben, dass je­de:r sich Fair Fashion leisten kann. Statt sich mit Konsum­kritik zu beschäftigen, fokussieren wir uns auf Systemkritik.

Also erst mal eifrig weiterkonsumieren, bis Politik und Wirtschaft etwas verändern?

Man sollte sich natürlich trotzdem fragen, wann der Konsum über die Grundbedürfnisse hinausgeht, und wenn möglich weniger konsumieren. Wichtiger ist es aus unserer Sicht, aktiv Veränderung einzufordern und zum Beispiel die Arbeit von NGOs, die sich seit Jahren für eine fairere und nachhaltigere Mode einsetzen, zu unterstützen.

Auf dem taz lab: „Konsumlust ohne schlechtes Gewissen“. Treibhaus, 15 Uhr.