Interview mit Neuköllner Pfarrerin: "Christen und Muslime ziehen sich aufs Eigene zurück"
Seit 20 Jahren leitet sie die Martin-Luther-Gemeinde im Norden Neuköllns: Pfarrerin Monika Weber kämpft für den Dialog mit Muslimen und gegen massiven Mitgliederschwund.
taz: Frau Weber, die Kirchen verlieren überall Mitglieder. Wie sieht es in Ihrer Gemeinde aus?
Monika Weber: Ich bin jetzt 20 Jahre hier Pfarrerin, und unsere Gemeinde hat sich in dieser Zeit halbiert. Das liegt zum einen an der demografischen Entwicklung und dass ja insgesamt die Kirchenmitglieder abnehmen. Aber es ist auch die Geschichte des Kiezes, die Geschichte von Migration und sozialer Problematik. Hier im Kiez hat eine enorme gesellschaftliche Veränderung gegriffen, und viele Familien sind weggezogen.
Die 50-Jährige ist seit 20 Jahren Pfarrerin der Martin-Luther-Gemeinde. Die Gemeinde in der Fuldastraße ist 101 Jahre alt und zählt derzeit 5.800 Mitglieder. Zur Gemeinde gehören zwei Kitas, ein Café und ein Eine-Welt-Laden. Neben täglichen Mittagsgebeten und den sonntäglichen Gottesdiensten bietet die Gemeinde verschiedenste Selbsthilfegruppen, Hartz-IV-Beratungen, Sprachkurse, ein Obdachlosencafé und eine Essensausgabe an.
Mehr Informationen unter www.martin-luther-neukoelln.de
Haben sie Kontakt zu Moscheen?
Wir haben uns mit den überwiegend palästinensischen Leuten der Moschee um die Ecke mehrmals gegenseitig besucht. Aber es ist in der letzten Zeit ein bisschen eingeschlafen. Mein Eindruck ist: Beide Seiten besinnen sich stärker auf die eigenen religiösen Wurzeln, wir genauso wie die Muslime. Unsere Konfirmanden fragen verstärkt: "Wir wollen wissen, wer wir sind und wo wir hingehören." Christen und Muslime ziehen sich auf das Eigene zurück, was den ganzen religiösen und spirituellen Bereich betrifft. Kirche und Moschee verhalten sich eher zurückhaltend zueinander. Aber es gibt viele Orte wie die Kitas, wo es sich mischt.
Ihre Angebote sind also nicht nur für Christen?
Natürlich nicht. Wir haben ja keine missionarischen Tendenzen, dass wir sagen würden, nur Christ sein ist richtig. Es kommen viele in ihrer Existenz Bedrohte zu uns, ob Christ oder nicht. Das Thema Sucht ist ein großes hier im Kiez. Zu unserer Essensausgabe kommen zahlreiche Menschen mit Migrationsgeschichte, auch zu den Sprachkursen. Sie verrichten dann auch bei uns ihre Gebete mit all den dazugehörigen Waschungen. Und ein paar nehmen auch am Gottesdienst teil.
Am protestantischen Gottesdienst?
Ja, wir haben zwei Kitas mit vielen Kindern aus muslimischen Familien, da kommen die Eltern auch mal in den Gottesdienst, gerade beim Erntedankfest und bei Gemeindefesten, wo die Kinder dann zum Beispiel im Chor mitsingen.
Bauen sich denn durch diese Kontakte gegenseitige Vorurteile ab?
Bei den gegenseitigen Besuchen mit der Moschee haben wir natürlich über klassische Themen von Kopftuch bis Gebetshaltungen gesprochen. Da kamen natürlich Ängste hoch, vor aggressiven islamischen Bewegungen oder Frauenfeindlichkeit im Islam. Bei unserer Essensausgabe geben vor allem Deutschsprachige das Essen aus, die EmpfängerInnen haben oft Migrationshintergrund. Da gibt es Konflikte. Aber über diese Konflikte kommen sie sich immer wieder auch als Personen näher, und die Herkunft und kulturellen Unterschiede treten in den Hintergrund. Es ist ein hartes Lernen für alle Beteiligten.
Sie haben im Haus eine indonesische, zwei ghanaische und eine Gemeinde von Sinti und Roma. Gibt es da gemeinsame Gottesdienste?
Vorrangig vermieten wir die Räume, um uns zu finanzieren. Aber wir machen zusammen die Nacht der spirituellen Lieder mit Sufi-Gesängen, Mantras, Gospels. Mit der indonesischen Gruppe führen wir einmal im Jahr einen gemeinsamen Gottesdienst durch und sind sehr vernetzt, mit der ghanaischen gibt es einen Gospelgottesdienst.
Es sind ja alles protestantische Gottesdienste. Gibt es denn Gemeinsamkeiten mit Ihren Gottesdiensten?
Wir sind alle sehr laienorientiert, brauchen also keinen Pfarrer oder keine Pfarrerin, sondern das kann jeder machen. Von der Theologie und Frömmigkeit her ist es so, dass alle Gastgemeinden nicht meiner theologischen Hauptlinie entsprechen, zum Teil sehr charismatisch, also sehr geistbewegt sind, laut stampfen und schreien. Wir tolerieren Unterschiede, aber mit der indonesischen Gemeinde kann ich inhaltlich auch in Streit kommen.
Was für Differenzen sind das?
Die hatten mal einen Prediger, der homosexuelle Partnerschaften sehr verurteilt und als bekehrungsbedürftig bezeichnet hat. Da sage ich ganz klar: Das entspricht nicht meiner theologischen Einsicht.
Sie haben bereits 1994 das erste lesbische Paar in Ihrer Kirche gesegnet, lange bevor der Staat das Lebenspartnerschaftsgesetz verabschiedet hat. War das mutig von der Kirche?
Nicht von der Kirche, sondern von uns als Gemeinde war es mutig. Die Kirchenobrigkeit hatte massive Probleme damit, hat es aber letztlich toleriert.
Und in Ihrer Gemeinde?
Es gab Leute, die gesagt haben: "Wir kommen nicht mehr in den Gottesdienst, wir spenden nichts mehr." Es gab bei uns aber in den 80er-Jahren einen Pfarrer, der offen schwul lebte, und die persönliche Bekanntschaft mit dieser Lebensform hat die Gemeinde stark positiv geprägt. Damit war ein gewisser Boden bereitet, als 1993 das Thema Segnungen zum ersten Mal auf den Tisch kam. Und da ich eindeutig heterosexuell lebe, war es möglich, Lasten zu verteilen. Homosexuelle Pfarrer und Pfarrerinnen aus anderen Gemeinden haben auch Paare zu mir geschickt, weil ihr eigenes Coming-out oder der Prozess in der Gemeinde noch nicht abgeschlossen war. Wir waren da ein unverfänglicherer Ort. Und trotzdem führte es zu massiven Konflikten im Kirchenkreis.
Was war denn die Angst?
Bevor der Staat die Partnerschaften legitimiert hat, gab es neben biblisch-theologischen Bedenken immer die Angst der Kirche, dass dann plötzlich Massen von Homosexuellen so eine Hochzeit wollen. Dabei waren homosexuelle Menschen so von Kirche enttäuscht, dass die überhaupt kein Interesse hatten. Es gab zu keiner Zeit den befürchteten Run. Wir würden uns mehr Run wünschen. Es eskalierte später noch mal wegen der geplanten Segnung von zwei Frauen, die sich offen zu Sadomaso bekannt haben. Das war für die kirchenleitenden Stellen untragbar.
Haben Sie die beiden trotzdem gesegnet?
Da habe ich mich ehrlich gesagt der Androhung eines Disziplinarverfahrens gebeugt. Aber wir segnen bis heute ein, zwei homosexuelle Paare pro Jahr.
Hat sich die Einstellung der Kirchenleitung nach der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes 2001 verändert?
Als das Gesetz kam, gab es einen Beschluss der Landessynode hier in Berlin. Der legt es in den Ermessensspielraum der jeweiligen Gemeinden, Pfarrer und Pfarrerinnen, Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare durchzuführen, hält es aber grundsätzlich für möglich.
Der Norden Neuköllns ist ja gerade sehr hip. Es ziehen viele junge Leute hierher, Künstler eröffnen Galerien. Merken Sie das auch?
Ja, es schwappt vom Reuterkiez bis hier in die Fuldastraße runter. Nun bin ich nicht so eine Nachttigerin. Aber ich weiß, dass das Nachtleben zugenommen hat und man viel Englisch und Spanisch hört. Ich sehe es in den neuen Cafés und finde es sehr angenehm, dass sich diese Kultur mit den Eckkneipen mischt. Ab und zu haben wir in den gut besuchten Gottesdiensten auch junge Leute dieser neuen Kultur im Gottesdienst, die mal gucken wollen, weil sie gerade zugezogen sind. Aber wir merken es tatsächlich ganz besonders im kulturellen Bereich: Wir haben bei uns im Haus ja Ausstellungen, und junge Künstler und Künstlerinnen fragen verstärkt an, ob sie bei uns ausstellen können.
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