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Aus taz FUTURZWEI

Interview mit Katja Berlin Torten der Wahrheit

Die feministische Künstlerin Katja Berlin sortiert mit ihren satirischen Torten der Wahrheit die gesellschaftliche Wirklichkeit neu. Ein Werkstattgespräch.

»Ich bin eher der salzige Typ«: Autorin Katja Berlin in Hannover Foto: Anja Weber

Die Torten der Wahrheit erscheinen jede Woche im Politikteil der Zeit, eine Bestandsaufnahme der Gegenwart in Diagrammen. Doch wer denkt sich das eigentlich aus? Katja Berlin ist 41 Jahre alt und gehört neben Maja Göpel, Özlem Türeci und Dunja Hayali zu den „40 over 40 – Germany's Most Inspiring Women” des Businessnetzwerks Curaze. taz FUTURZWEI trifft Katja Berlin nicht in Berlin, sondern in Hannover, wo sie Anfang 2021 hingezogen ist. Der Liebe wegen. Wir sitzen zusammen in einem Café im Sprengelmuseum.

»ICH ERÖFFNE EINE PERSPEKTIVE, DASS ALLES ANDERS SEIN KÖNNTE, SOLLTE ODER MÜSSTE.«

taz FUTURZWEI: Katja, magst du vielleicht ein Stück Torte essen?

Katja Berlin: Nein danke, ich bin eher der salzige Typ. Ich kann nicht einmal backen.

Dennoch bist du Tortenmacherin. Wenn du dich vorstellst, was sagst du?

Ich sage, dass ich Autorin bin und als Kolumnistin für die Wochenzeitung Die Zeit arbeite. Dort kommentiere ich mit satirischen Infografiken das politische Zeitgeschehen oder gesellschaftliche Debatten. Mit diesen Infografiken stelle ich neue Zusammenhänge her, entlarve verlogene Narrative oder decke Ungerechtigkeiten auf. Meist nickt mein Gegenüber dann wissend, hat aber in Wirklichkeit keine Ahnung, was ich natürlich bemerke und es dabei belasse. Oder es kommt danach sofort die Frage, ob man davon leben kann.

Jetzt bitte die erste Torte der Wahrheit hier auf diesen Tisch: Kann man das?

Ja. Ich gehöre zu den wenigen Frauen Deutschlands, die in einem etablierten, überregionalen Printmedium eine wöchentliche Kolumne haben. Neulich habe ich gelesen, dass nur 9 von 44 Kolumnen solcher Art von Frauen geschrieben werden. Ich mache es also nicht nur des Geldes wegen. Das macht aber auch nur ein Teil meines Einkommens aus. Ich arbeite außerdem für Fernsehproduktionen, für Printmagazine und Kampagnen, ich halte Vorträge und habe 15 Bücher geschrieben, darunter einige Bestseller.

Wie kam Die Zeit auf den Geschmack?

KATJA BERLIN

Die Frau: Laut Pass Katja Dittrich, 41, bekannteste Grafikkolumnistin Deutschlands (Torten der Wahrheit). Geboren und aufgewachsen in Berlin, lebt in Hannover.

Das Werk:

Zuletzt erschienen (mit Anika Decker): Nachrichten von Männern. Ullstein 2021

Torten der Wahrheit: die Welt ist kompliziert genug! Riva 2016

Als @katjaberlin auf Twitter, mehr als 97.000 Follower.

Ende 2014 fragte mich Bernd Ulrich, heute Stellvertretender Chefredakteur, ob ich mir vorstellen könnte, regelmäßig ein lustiges Kreisdiagramm zu einem gesellschaftspolitischen Thema zu liefern. Er kannte meinen politischen Humor von Twitter und meine lustigen Infografiken zu Alltagshumor und brachte beides zusammen.

Ist Humor im politischen Teil einer Zeitung am richtigen Platz?

Auf jeden Fall. Humor ist definitiv auch eine Strategie, bestimmte Sachverhalte zu verstehen und emotional zu verarbeiten. Ein positiver, lustiger Ansatz hilft uns dabei, offen für andere Perspektiven zu sein. Er kann aber ebenso ein Ventil für Wut und Frust sein, was man ja auch gut auf Twitter sehen kann. Meine humoristische Karriere begann als ich auf Twitter Witze über meinen damaligen wirklich fürchterlichen Angestelltenjob machte, weil ich es sonst nicht ausgehalten hätte. Meine ersten Infografiken, die ich zusammen mit Peter Grünlich auf graphitti-blog.de veröffentlichte, bezogen sich auch nur auf den ganz normalen Irrsinn des Alltags, nicht auf Politik. Aber es funktioniert genauso dafür.

Weshalb ist eigentlich noch keine deutsche Bäckerei auf die Idee gekommen, wöchentlich Katjas Torte zu backen?

Wäre eine Idee! Denn ich mach ja auch nicht nur eine Tortengrafik pro Woche, sondern mindestens sechs. Ein reichhaltiges Angebot also, aus dem sich dann die Redaktion der Zeit bis zu drei Torten auswählt.

Das heißt, die Hälfte der Wahrheit und die deiner Torten kennt die Welt gar nicht? Was machst du damit?

Die packe ich unsortiert in einen Dateiordner auf meinem Computer zu all den anderen. Herrje, meine Archivierung ist eine Katastrophe. Das merke ich immer, wenn ich nachschauen will, ob ich einen Witz schon mal gemacht habe, das vergesse ich manchmal. Wenn eine Grafik, die ich besonders mochte, nicht ausgewählt wurde, biete ich die der Redaktion aber immer wieder an. Da bin ich hartnäckig.

Du lachst?

Manchmal habe ich damit Erfolg.

Bist du vielleicht ein moderner und weiblicher Till Eulenspiegel?

Meinst du den Narr aus dem alten Schwank? Irgendwie schon. Mit Humor richte ich den Spiegel auf das Befinden der Nation, auf gefühlte Wahrheiten, auf das, was sich hinter Zahlen und Berichten verbirgt und zwischen den Zeilen steht. Oft zeige ich den Leser*innen auch, dass Dinge vielleicht ganz anders sind, als sie bisher meinten. Und klar: der feministische Blick ist mir äußerst wichtig.

Da kommt etwas Ernstes im spaßigen Kostüm?

Ja, das ist der Trick. Empörung ist wichtig, kann aber auch die Fronten verhärten. Mit einer guten Pointe kann ich mein Anliegen besser rüberbringen.

Kann Humor eine Sprache des Protests sein?

Ja, absolut, allerdings sollte ein ernsthafter Kern zu erkennen sein. Von Albernheit oder Zynismus etwa halte ich da wenig, meine Überzeugungen bleiben in meinem Humor immer erkennbar. Ich protestiere auf diese Art, zum Beispiel gegen Rechtspopulismus oder Geschlechterungerechtigkeiten. Ich zeige Missstände und Scheinargumente auf, die mich nerven.

Dir liegt dieses Land, dessen Politik und Zukunft am Herzen?

Absolut. Ich meckere und kritisiere nicht nur. Ich denke, ich setze auch positive Akzente. Zumindest ist das mein Anliegen. Mit vielen Torten eröffne ich eine neue Perspektive, dass alles – oder zumindest vieles – anders sein könnte, sollte und eigentlich müsste. Ich bin im Grunde optimistisch, sonst würde ich auch nicht so viel Energie darauf verwenden.

Und wie generierst und erarbeitest du deine Themen? Hast du bestimmte Techniken entwickelt?

Das ist ein längerer Prozess, den ich schwer erklären kann. Ich erspüre zunächst, welche gesellschaftspolitischen Diskurse, Fragestellungen, Forderungen oder Aufreger virulent und aktuell sind, dann durchforste ich daraufhin Medien aus dem gesamten politischen Spektrum, sammle Meinungen aus den sozialen Medien und Blogs. Dann sortiere ich die Wirklichkeit für mich neu. Auf jeden Fall brauche ich dafür äußerste Konzentration, mal so eben im Supermarkt kommt mir nur äußerst selten eine Idee.

»Ich habe mich mehr und mehr politisiert«: Katja Berlin Foto: Anja Weber

Hast du immer ein Skizzenbuch dabei?

Nein, ich habe zwar eins, aber das nehme ich nur mit, wenn ich im Park arbeiten gehe.

Deine Grafiken sind nie faktisch korrekt, haben selten empirische Daten als Grundlage.

Stimmt. Dennoch gibt noch immer Leser*innen, die nach den Quellen fragen.

Ist das versteckte Wissenschafts- oder Medienkritik?

Es ist eigentlich eine Persiflage auf simple Infografiken, die in den Medien genutzt werden, um die Wahrheit abzubilden. Der Focus hat, glaube ich, in Deutschland damit begonnen. Grafiken sehen so wissenschaftlich-objektiv aus, so seriös. Dabei sind sie wirklich unterkomplexe Darstellungsformen, eigentlich nur dafür geeignet, Wahlergebnisse zu visualisieren.

Geht dir irgendwann der Stoff aus?

Diese Bedenken hatte ich am Anfang. Doch dann begannen die krisenreichen Zeiten mit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015. Und es nimmt kein Ende! Ich hatte vor Beginn der Kolumne auch Angst vor dem wöchentlichen Abgabetermin. Damals ging es nur um eine Grafik pro Woche, aber das fand ich schon zu herausfordernd. Dann habe ich mich mit eurem Cartoonisten von der taz, Mathias Hühn, unterhalten, der hat mich gelockert und entspannt. Man müsse das Loslassen üben, auch mal Nicht-Perfektes einfach abgeben, sagte er. Ich glaube, ich kann das mittlerweile.

Kannst du auf Vorrat arbeiten und einfach in den Urlaub fahren? Nein, das mach ich nicht. Ich brauche die Aktualität und meine Deadline. Ich arbeite am besten unter Druck.

Gibt es Themen mit langem Haltbarkeitsdatum?

Da fällt mir die Debatte ums Kopftuchverbot ein. Die kommt so regelmäßig wie Weihnachten, immer wieder mit dem gleichen Scheinargument der Konservativen, dass es ihnen da ja lediglich um Frauenrechte gehe. Wenn es dann aber um § 218, Gender Pay Gap, Altersarmut und so weiter geht, hört man dann dagegen nichts mehr von ihnen.

»VON ALBERNHEIT ODER ZYNISMUS HALTE ICH WENIG, MEINE ÜBERZEUGUNGEN BLEIBEN IN MEINEM HUMOR IMMER ERKENNBAR.«

Wiederholen sich Themen?

Ja, das gibt es. Aber im Laufe der Zeit habe auch ich mich verändert. Ich habe mich mehr und mehr politisiert. Einige ältere Torten würde ich heute eventuell viel pointierter darstellen.

Sind bestimmte Torten irgendwann gegessen?

Das wäre schön bei einigen Themen, aber die meisten sind auch Jahre später noch aktuell. Der gesellschaftliche Fortschritt ist ja mitunter sehr, sehr langsam. Andere drehen sich in ihr Gegenteil. Ich denke da an meine Torte über Politische Realitäten der Gegenwart. Während früher der Normalzustand überwog, ist es heute die Krise.

Helfen dir Freund und Familie und weisen dich auf bestimmte Hot Topics hin?

Mein Freund ist Richter, der versteht meine Grafiken oft gar nicht. Auf gefühlte Wahrheiten geben Juristen nichts. Ich komme aus einer Lehrerfamilie, wenn da über Arbeit gesprochen wird, dann nur über Schule. Mit meinem Job können tatsächlich viele überhaupt nichts anfangen, also muss ich die Arbeit leider ganz allein machen.

Im vergangenen Sommer hast du zusammen mit Anika Decker das Buch Nachrichten von Männern geschrieben. Das ist ja ebenfalls eine Neusortierung der Welt, der Männerwelt und wie sie kommuniziert.

Ja, genau. Wir haben unsere männlichen Dates und Lover, aber auch Chefs und Kollegen der letzten zehn Jahre hinsichtlich ihrer kommunikativen Gattungen analysiert und geordnet. Da gibt es dann: den Chatsetter, den Fopper, den ekligen Sexter oder den Einsilbigen. Die teils fürchterlichen, verletzenden oder scherzhaften Nachrichten wurden so zum Untersuchungsmaterial der Kommunikation zwischen den Geschlechtern im digitalen Zeitalter.

Zu welcher Gattung gehört dein Richter?

Ich würde sagen, der Einsilbige. Und dein Mann?

Auch. Meistens.

Wir haben gefühltes Glück!

Interview: DANA GIESECKE

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°19 erschienen.