Interview mit Karstadt-Investor Berggruen: "Ich habe nichts erreicht"
Einen Euro hat der Milliardär für Karstadt bezahlt. Doch eigentlich bereut der Medienscheue das Engagement fast wieder. Berggruen über Steuern, Utopien und wirklich wichtige Leistungen.
Um 15 Uhr sollte das Interview beginnen, inzwischen ist es fast halb fünf. Das Thermometer zeigt zeigt mehr als 30 Grad im Schatten, aber Nicolas Berggruen sitzt nicht drinnen im gekühlten Fünf-Sterne-Hotel am Berliner Gendarmenmarkt, in dem er dieser Tage logiert, sondern draußen im Innenhof auf der Terrasse. Die Sonne brät ihm auf den Rücken. Der Karstadt-Investor unterhält sich auf Englisch mit einem Geschäftspartner.
Seine Pressereferentin wird ungeduldig, sucht seinen Blick. Als er schließlich den Tisch wechselt, mahnt sie zur Eile. Doch Berggruen ist entspannt. Er legt seine marineblaue Strickkrawatte vor sich auf den Tisch, die getönte Pilotenbrille lässt er auf, fächelt sich mit seinem Hemd Luft zu. Er entschuldigt sich mehrfach für die Verspätung, um dann anzukündigen, dass gleich vermutlich sein Blackberry klingeln werde und er den wichtigen Anruf aus Südafrika leider annehmen müsse. Er spricht ein amerikanisch gefärbtes Deutsch.
taz: Herr Berggruen, Sie fordern keine Lohnkürzungen bei Karstadt und geben eine Jobgarantie für die Beschäftigten. Sind Sie eigentlich links?
Nicolas Berggruen: Nein. Ich bin vielleicht in sozialen Fragen links. Aber insgesamt bin ich nicht links oder rechts. Ich glaube an das Individuum, an die Menschenrechte und an soziale Mindeststandards. Das starke soziale Netz in Europa ist eine gute Sache.
Es heißt, Sie hätten in Ihrer Jugend mal eine links-anarchische Zeit gehabt.
Seine Familie: Nicolas Berggruen wurde 1961 in Paris als Sohn von Heinz Berggruen und Bettina Moissi geboren. Sein Vater Heinz (1914 - 2007) wuchs in Berlin auf, musste aber wegen der Nazis aus Deutschland fliehen. Er gilt als einer der größten Kunstsammler und Mäzene des 20. Jahrhunderts. Sein Museum der klassischen Moderne in Berlin umfasst zahlreiche Werke, etwa von Pablo Picasso, mit dem er befreundet war. Seine Mutter Bettina Moissi (geboren 1923 in Berlin) ist die Tochter des Schauspielers Alexander Moissi und selbst Schauspielerin geworden.
Sein Leben: Aufgewachsen in Frankreich, studierte Nicolas Berggruen an der New York University Finanz- und Betriebswirtschaftslehre, danach wurde er Immobilienhändler. Im Jahr 1984 gründete er seine eigene Investmentfirma, die heutige Berggruen Holdings. Mit einem Kompagnon leitete er später einen Hedgefonds, den er 2004 verkaufte. In den vergangenen Jahren hat Berggruen Immobilien in Berlin gekauft, etwa das Café Moskau an der Karl-Marx-Allee und das Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien mit 25 großen Ateliers.
Sein Vermögen: Das MagazinForbes schätzte das Vermögen Berggruens in diesem Jahr auf 2,2 Milliarden US-Dollar. Berggruen hat nach eigenen Angaben keine eigene Wohnung mehr, er lebt stattdessen in Hotels. Sein Zuhause ist de facto sein Jet Gulfstream IV. Nach Recherchen des Wall-Street-Journals war er mit ihm allein 2008 in 80 Städte geflogen. Vor etwa einem Jahr gründete Berggruen eine Denkfabrik, das in New York ansässige "Nicolas Berggruen Institute", dessen Präsident er auch ist. Das Institut geht vor allem der Frage nach, wie heutzutage eine gute Regierungskunst aussehen könnte.
Korrekt.
Wie sah die aus? Hatten Sie etwa bunte Haare?
Nein, das ist keine Sache des Looks. Was im Kopf passiert, ist viel wichtiger.
Von welchen Werten lassen Sie sich denn heute bei ihren Geschäften leiten? Sie investieren ja zum Beispiel in Windparks in der Türkei.
Der Windpark in der Türkei ist gut, weil er grüne Energie liefert und weil die Türkei mehr Energie braucht. Das macht ihn profitabel. Wenn man etwas Gutes machen und dabei noch Geld verdienen kann, ist das eine gute Kombination.
Und wenn Sie bei Karstadt investieren, stehen dahinter dann geschäftliche Ziele oder persönliche Überzeugungen?
Manche Engagements können und sollten zu hundert Prozent philanthropisch sein. Andere Projekte müssen sich rechnen. Es nützt niemandem, wenn ich Karstadt kaufe – und dann verliert es Geld, während ich Karstadt für zwei, drei Jahre subventioniere. Wenn es dann weiter nicht läuft, hilft es niemandem. Damit Karstadt langfristig überlebt und gut lebt, muss es wirtschaftlich erfolgreich sein.
Gibt es für Sie bei Karstadt eine finanzielle Schmerzgrenze?
Ja.
Sie ist in Ihrem Kopf, aber sie soll nicht in die Zeitung?
Genau. Aber das ist auch nicht der Punkt. Man fängt nicht mit dem Negativen an. Man muss gemeinsam darüber nachdenken, wie man daraus einen Erfolg macht. Es sollen ja alle davon profitieren: die Städte, die Mitarbeiter, die Kunden, die Lieferanten und auch der Eigentümer.
Ist denn Karstadt das schwierigste Geschäft, das Sie je unternommen haben?
Nein, aber vielleicht das öffentlichste.
Gleichzeitig zeigt aber doch auch das öffentliche Interesse, dass Sie da in etwas investieren, das von öffentlicher Bedeutung ist.
Das ist natürlich interessant und eine positive Herausforderung. Aber es verstärkt auch den Druck.
Unter Druck entstehen Fehler. Haben Sie schon einmal richtige Fehler gemacht bei Ihren Investitionen?
Ja, sicher!
Nennen Sie uns ein Beispiel?
Ich habe in den USA in Ethanol investiert, ein grünes Investment also, dachte ich. Am Ende stellte sich das als eine ganz große finanzielle und ökologische Katastrophe heraus.
Aber es war eine gute Idee…
Nein! Es war eine sehr schlechte Idee. Ich habe geglaubt, es sei eine gute Idee, aber ich habe mich mächtig geirrt.
Haben Sie früher Investitionen getätigt, die Sie heute nicht mehr tätigen würden?
Ja, diese genannten schlechten.
Auch moralisch schlechte?
Ich bin kein Moralist. Vor Jahren hat man mir den Kauf eines Unternehmens angeboten, das Waffen herstellt. Ein Freund von mir hatte das Unternehmen gekauft und fragte mich, ob ich mit einsteige. Es wäre ein gutes Geschäft gewesen, aber ich sagte Nein. Eine solche Sache würde ich nie machen. Es geht um Maschinen zum Töten. Natürlich bin ich persönlich gegen Aufrüstung. Und die Militäretats der Welt sind schlecht, weil sie mit Krieg und Töten zu tun haben. Aber wo wollen Sie die Grenze ziehen? Wenn zum Bespiel jemand Stahl herstellt, ist das dann schlecht, weil daraus Waffen hergestellt werden können?
Sie investieren also doch nach moralischen Kriterien?
Es ist schwierig, moralische Kriterien aufzustellen. Sie können sagen: Ich bin gegen Tabak und Zigaretten, also will ich nicht in solche Sachen investieren. Denn Rauchen ist schlecht – für einen selbst und für die anderen. Aber was ist mit dem armen Farmer in Simbabwe, der Tabak anbaut? Andere sagen: Man kann nicht mit Simbabwe Geschäfte machen, denn Staatschef Mugabe ist ein schlechter Mann. Aber, wenn man keine Geschäfte mehr mit diesem Land macht, leiden die einfachen Menschen dort am meisten. Deshalb glaube ich: Viele dieser vermeintlich moralischen Kriterien sind sehr politisch und gar nicht so wirklich moralisch.
Herr Berggruen, das Magazin Forbes zählt Sie zu den fünfhundert reichsten Menschen der Welt. Finden Sie, dass reiche Menschen gesellschaftlich mehr in die Pflicht genommen werden sollten?
Wie meinen Sie das?
In Deutschland gibt es Reiche, die fordern, dass Reiche mehr Steuern zahlen sollen, dass man also auch den Spitzensteuersatz anhebt. Sehen Sie das auch so?
Grundsätzlich gesehen: Ja, die Reichen sollten mehr bezahlen. Hohe Steuern sind kein Hinderungsgrund für Menschen, die arbeiten wollen. Unternehmer, die arbeiten und dies gerne tun, werden dies machen, egal ob die Steuern hoch oder niedrig sind. In Skandinavien sind die Steuern sehr hoch, aber die Länder sind überdurchschnittlich erfolgreich und der Lebensstandard ist sehr gut. Wahr ist allerdings auch: Wenn die Leute denken, fast alles, was sie verdienen, geht an den Staat, sind sie nicht mehr sehr motiviert.
Wo läge die Grenze für eine Reichensteuer?
Wo genau die Grenze liegt, weiß ich nicht. Es geht ja auch um die Frage, wie effizient der Staat mit dem Geld umgeht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Singapur hat ein fantastisches Sozialsystem und die Steuern sind trotzdem sehr niedrig, weil die Verwaltung sehr leistungsfähig ist. Viele Leute, die links sind, finden dieses Land aber abscheulich.
Singapur hat ein nicht sehr demokratisches System – die Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit ist eingeschränkt.
Aber Singapur bietet ein gutes Gesundheitswesen und ein sehr gutes Bildungssystem. Die Staatsangestellten bekommen sehr hohe Löhne, die wettbewerbsfähig sind mit der Privatwirtschaft. Wenn eine Regierung geführt wird wie ein Privatunternehmen, dann ist sie viel effizienter.
Diese Idee scheint sie schwer zu beschäftigten. Sie haben sogar einen Think Tank gegründet, das Nicolas Berggruen Institute, das sich genau dieser Frage nach gutem Regieren widmet.
Ja, das Thema beschäftigt mich täglich.
Ihr Institut hat bisher keine Ergebnisse veröffentlicht? Was macht es eigentlich genau?
Das Institut habe ich erst vor weniger als einem Jahr gemeinsam mit Wissenschaftlern gegründet. Wir haben zunächst eine ganz verrückte Idee umgesetzt: Wir haben eine neue Verfassung für ein utopisches Land aufgeschrieben.
Ein bisschen so wie Thomas Morus…
Das beschäftigt mich seit den Teenager-Jahren. Die Verfassung soll demnächst als kleines Buch erscheinen. Ich darf noch nicht zu viel verraten.
Sagen Sie uns denn, wie Artikel 1 Ihrer Verfassung lautet?
Den gibt es nicht. Es ist keine Verfassung in Artikeln, das Buch besteht aus einem philosophischen und einem praktischen Teil. Es ist so eine Mischung aus Ost und West, eine fernöstliche Idee von einer harmonischen Staatsorganisation und westliche Freiheitsrechte und Sozialstandards. Unser zweites wichtiges Projekt heißt "Reform California". Es geht um die Frage, wie man das politische System in Kalifornien deblockieren kann. Wichtige, langfristige Reformen sind dort im Moment unmöglich, weil für alle Entscheidungen eine Zweidrittel-Mehrheit nötig ist.
Aber Kalifornien hat doch so einen tollen Gouverneur!
Schwarzenegger? Man kann ihn toll finden oder nicht. Tatsache ist: Seit acht Jahren führt er die Regierung, aber keiner kann sagen, ob er gut war oder nicht – er konnte gar nichts umsetzen. Der Gouverneur hat sehr wenig Macht. Ich will deshalb eine überparteiliche Kommission vorschlagen.
Was haben Sie gegen Parteien?
Ich will nicht rechts oder links sein, dann werde ich ein Politiker wie andere und muss Kompromisse machen. Am Ende wird man ein Gefangener einer Ideologie, selbst wenn man Ideale hat, und darf bestimmte Dinge nicht mehr sagen. In Amerika ist es inzwischen ein großes Problem, dass alles sehr parteipolitisch ist. Mein Ziel ist nicht, Krach zumachen – ich will etwas verbessern.
Sie sagen von sich, Sie seien kein Materialist. Sie haben viele Statussymbole abgeschafft, inzwischen haben Sie nicht mal mehr eine eigene Wohnung. Verliert das Geld irgendwann an Bedeutung, wenn man viel oder vielleicht sogar zu viel davon hat?
Ich glaube, Geld verliert tatsächlich an Bedeutung. Aber für manche Menschen ist es wichtiger als für andere. Ich selbst bin an materiellen Dingen nicht sehr interessiert. Aber ich bin auch in diesem Punkt gar nicht moralisch. Jedes Individuum sollte sich möglichst frei entfalten können – solange es nicht anderen schadet. Dann kommt wieder die Frage: Wo wird es schädlich für andere? Ich selbst halte den Besitz von fünf Autos für exzessiv, aber wenn das jemanden glücklich macht – warum nicht?
Sie sagen, Sie seien kein Materialist, häufen aber wahnsinnig Geld an. Ist das nicht ein innerer Widerspruch?
Nein, ich kann das klar trennen. Das eine hat mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun.
Aber wozu häufen Sie dann das ganze Geld an, wenn Sie es gar nicht nutzen?
Ich investiere das meiste Geld in Unternehmen. Ich häufe es nicht nur an. Ich werde es nutzen, ich will es am Ende alles weggeben. Die Projekte, die ich mit meinem Think Tank vorhabe, sind zum Teil sehr teuer. Das Kalifornien-Projekt wird viel Geld kosten, wenn wir das wirklich gut machen wollen. Das Geld geht irgendwann zu 100 Prozent weg. Aber Geld gut wegzugeben ist schwieriger, als es zu verdienen. Theoretisch sind alle Spenden gut: Aber in Afrika zum Beispiel ist es sehr, sehr schwierig, etwas langfristig Gutes mit dem Geld zu machen.
Welche Idee haben Sie für Afrika?
Das will ich jetzt noch nicht verraten. Ich glaube aber, einfach nur Geld nach Afrika zu geben, ist eigentlich fast schädlich. Es ist, als würde man einem Drogenabhängigen seine Sucht finanzieren. Um Afrika stark zu machen, muss man mehr tun, als nur Geld zu schicken. Nur wie macht man Afrika stark? Man muss Afrika helfen, eigenes Leistungsvermögen aufzubauen. Aber das ist wirklich schwierig.
Haben Sie ein Beispiel?
In Äthiopien gab es vor etwa zwanzig Jahren eine schreckliche Hungersnot, Millionen von Menschen waren betroffen. Natürlich muss man in so einer Situation Geld schicken. Aber heute leben in Äthiopien doppelt so viele Menschen und sie sind genauso arm wie damals. Äthiopien ist theoretisch ein reiches Land, es hat viele Potenziale, die Menschen könnten viel machen. Aber die Basis fehlt, das Land braucht ein besseres Regierungssystem und eine bessere Verwaltung – und das ist das Schwierigste.
Haben Sie im Moment überhaupt Zeit, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen?
Ich verbringe viel Zeit mit der Arbeit für meine Stiftung.
Sie galten lange Jahre als öffentlichkeitsscheu. Jetzt gehen Sie auf Medienanfragen ein. Warum?
Ich mache das, weil mir dazu geraten wird, dies zu tun, letztlich für die Betroffenen, die Karstadt-Mitarbeiter und -Lieferanten.
Das sollen wir glauben?
Bei dem Karstadt-Investment ahnte ich gar nicht, dass es so ein Medieninteresse bewirken würde. Und man hat mir gesagt: Wenn ich nur verkünde, ich will bei Karstadt einsteigen, ist das nicht ausreichend. Denn die Menschen sind neugierig, wer dieser Investor ist. Es ist ein kompliziertes Geschäft, wenn ich es gut machen will, kann ich mich nicht verstecken. Also habe ich mir gesagt: Du hast keine Wahl! Aber ich muss gestehen, hätte ich das geahnt, hätte ich das vielleicht gar nicht gemacht. Aber es geht auch darum Transparenz in komplizierte Verhandlungen mit vielen Beteiligten zu bringen.
Wie gefällt Ihnen denn, was die Medien so über Sie schreiben: Der coole Kapitalist, die gute Heuschrecke, der Märchenprinz… Sie werden ja zum Teil fast wie ein Heiland für Karstadt dargestellt!
Soll ich die Wahrheit sagen?
Kommen Sie!
Also: Ich finde es peinlich, über mich zu lesen. Es ist mir äußerst unangenehm.
Weil Sie sich nicht wiederfinden – oder weil zu hohe Erwartungen an Sie geknüpft werden?
Ich finde es einfach geschmacklos. Und außerdem verdiene ich es gar nicht. Wenn ich etwas Phantastisches herausgefunden hätte als Forscher, wenn ich ein großartiges Buch geschrieben hätte, wenn ich ein großer Architekt, ein großer Fotograf oder ein großer Journalist wäre – dann vielleicht, ja. Aber ich habe nichts erreicht.
Doch, Sie haben als Unternehmer Milliarden verdient!
Ja, aber das sind für mich verschiedene Ebenen. Eine große Leistung ist es, ein großer Architekt zu sein, ein großer Schriftsteller, ein großer Forscher, ein großer Politiker, ein großer Denker. In meiner Hierarchie sind das die wichtigen Leistungen. Ich will nicht über andere urteilen, aber ich bin da hart gegen mich selbst. Ich finde, ich habe bisher nichts geleistet. Wenn mein politischer Think Tank eines Tages wirklich einen positiven Wandel bewirkt, dann kann ich sagen: Ja, wir haben etwas geschafft.
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