■ Interview mit Hessens Umweltminister Joschka Fischer (Die Grünen) über seine Zukunft und die seiner Partei: Die letzten Verfassungspatrioten
taz: Sie haben die Ankündigung Ihrer Kandidatur für den Bundestag 1994 damit begründet, daß die nächste Wahl eine Schicksalswahl für die Grünen sei. Befürchten Sie, daß die Grünen, falls sie in zwei Jahren den Sprung ins Parlament wieder nicht schaffen, auch auf anderen politischen Ebenen scheitern werden?
Joschka Fischer: Die entscheidende Frage für die Zukunft von Grünen/Bündnis 90 – und die Einheit von Grünen und Bündnis 90 ist die Grundvoraussetzung für einen Wiedereinzug in den Bundestag – ist, ob wir als eigenständige bundespolitische Kraft noch eine Zukunft haben. Sollten wir den Wiedereinzug in den Bundestag nicht schaffen, dann wird es sehr schwer werden, die Einheit Grüne/ Bündnis 90 als nationale Komponente zu sichern. Als regionale Kräfte werden die Grünen/Bündnis 90 dann immer noch eine Überlebenschance haben – aber ohne bundespolitischen Einfluß. Und das in einer Situation, in der sich nicht nur diese Republik auf schlimme Weise neu sortiert, sondern auch in einer Zeit, in der das Parteiensystem neu strukturiert wird: Ob die Union so zusammenbleibt, ist fraglich. Der deutschnationale Flügel wird sich, sei es in Gestalt der „Republikaner“ oder in einer gemischten Form, vermutlich verselbständigen. Die Zukunft der FDP muß mit einem dicken Fragezeichen versehen werden. Und die Rolle, die die SPD in einer möglichen großen Koalition spielen wird, ist noch nicht definiert. Das alles bedeutet, daß auf die Grünen ein großes Maß an Verantwortung zukommt. Am Beispiel der Asyldebatte wird deutlich, wie unverzichtbar die Grünen in der politischen Landschaft geworden sind. Wir sind die letzte Partei im demokratischen Spektrum, die sich gegen den nach rechts wegrutschenden Zeitgeist stemmt. Im Klartext: Die Grünen sind die letzte verfassungspatriotische Partei. Daß es nach drei Jahren deutscher Einheit dazu kommen würde, daran hätte ich nicht einmal im Traum gedacht.
Angenommen es kommt nach den nächsten Bundestagswahlen zu baden-württembergischen Verhältnissen in Bonn: große Koalition und Grüne am linken und Reps am rechten parlamentarischen Rand...
Ich stelle in Abrede, daß wir dort dann den linken Rand abgeben werden. Ich würde davor warnen, auf klassische Linksopposition zu machen. Wir wären gut beraten, wenn wir verschiedene Komponenten, die in unserer Partei personell und programmatisch vertreten sind, berücksichtigen und auf das demokratische und verfassungspatriotische Image der Partei setzen würden. Ich jedenfalls möchte mich nicht sklavisch in eine Farbenlehre einordnen lassen. Wir wären schlecht beraten, wenn wir etwa den linken Liberalismus, der in der FDP schon lange keine Heimat mehr hat, links liegen lassen würden. Und wir werden gezwungen sein, uns in entscheidenden Fragen – etwa in der Wirtschafts- und Ökologiepolitik – ergebnisorientiert und nicht mehr ideologieorientiert zu verhalten.
Dennoch: Was heißt das für die politische Strategie der Partei, wenn sich die Grünen mit den Rechtsradikalen im nächsten Bundestag die Oppositionsrolle teilen müssen?
Das wird ohne Zweifel eine große Herausforderung für die Grünen werden. Wir werden gegen den Rechtspopulismus und gegen eine große Koalition die demokratische Opposition organisieren müssen. Wir werden hoffentlich mit starkem Personal in den Bundestag einziehen. Und wir weden dann hoffentlich eine starke Fraktion Grüne/Bündnis 90 haben, die weiß, daß wir nicht mehr die Fehler der alten Bundestagsfraktion wiederholen dürfen: Neunzig Prozent Innenbeschäftigung und zehn Prozent Außenbeschäftigung.
Nun hat selbst Ministerpräsident Hans Eichel Ihre bundespolitischen Ambitionen auch als Kampfansage gegen die SPD interpretiert. Und tasächlich wären die Grünen doch mit dem berühmten Klammerbeutel gepudert, wenn sie nicht um die Stimmen all der SPD-Wählerinnen und SPD- Wähler buhlen würden, die von den Sozialdemokraten – Stichworte: Asylkompromiß und „Out of Area“-Einsätze der Bundeswehr – bitter enttäuscht wurden.
Ich bin nach wie vor ein Anhänger von rot-grünen Regierungsbündnissen, weil das noch immer die einzige Alternative zu weiter rechts angesiedelten Machtbündnissen ist. Hier in Hessen funktioniert die Koalition sehr gut. Ich würde mir wünschen, daß sich in Bonn eine ähnliche Perspektive auftut. Dafür werde ich kämpfen. Aber die SPD ist doch keine heilige Kuh, die außerhalb jeder Kritik steht. Die SPD ist ein Partei, die im Meinungswettbewerb steht – und im Wettbewerb um Wählerstimmen. Dennoch stehe ich klipp und klar zu einer rot-grünen Koalition auch in Bonn. Wenn wir den Traum von einer linken Mehrheit in dieser Republik aufgeben, dann geben wir uns selbst auf.
Kann denn eine SPD auf dem Weg zu CDU/CSU-Positionen in entscheidenden politischen Fragen für die Grünen überhaupt noch ein akzeptabler Bündnispartner sein?
Ich bin ein entschiedener Gegner der Änderung des Artikels 16. Ich halte sie für unnötig und für falsch. Es gibt allerdings auch bei uns Leute, die meinen, man könne den 16er ändern. Darüber kann man streiten. Nur in der gegenwärtigen Situation kann man nicht darüber streiten! Sollte es zu einer Änderung der Verfassung kommen, werden wir hinterher keine Möglichkeit mehr haben, das zu korrigieren, denn dazu bräuchten wir gleichfalls eine Zweidrittelmehrheit. Sollten sich die Mehrheiten nach den Bundestagswahlen tatsächlich so darstellen, daß Rot- Grün möglich ist, dann wird man sehen, daß auch die SPD zu beeindruckenden Änderungen fähig ist. In Hessen ist die erste rot-grüne Koalition an der starren Haltung der SPD in der Atomfrage gescheitert. Heute machen SPD und Grüne zusammen gerade auf dem Atomsektor eine allseits akzeptierte Politik. Wichtig ist, daß eine inhaltliche Reformgrundlage im Rahmen der Kaolitionsvereinbarungen geschaffen wird, mit der beide Partner leben können.
War das Ihre einsame Entscheidung, auf den Ministersessel in Wiesbaden zu verzichten und nach Bonn zu gehen? Noch nicht einmal Rupert von Plottnitz (Fraktionschef im Landtag, die Red.) soll davon gewußt haben.
Das war eine einsame Entscheidung. Aber ich hoffe, daß sich noch viele prominente und gute Grüne in diesem Land so entscheiden.
Der persönliche Traum von Joschka Fischer? Vizekanzler und Innenminister in Bonn?
Mein persönlicher Traum? Ich will die taz überdauern.
(Dann werden Sie eines Tages aber alt aussehen, die Red.)
Interview: K.P.Klingelschmitt
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