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Interview mit Gretchen Dutschke-Klotz über die taz „Rudi hat Vorfahrt“

Gretchen Dutschke-Klotz im Gespräch mit der taz Genossenschaft über Rudi Dutschke und das nach ihm benannte Haus der taz in Berlin-Kreuzberg.

Im Licht: Gretchen Dutschke-Klotz Foto: Sonja Trabandt

taz Genossenschaft: Anfang 1993 – es stand das Jubiläum 25 Jahre 1968 ins Haus – habe ich, damals Chefredakteur der taz, dem taz-Geschäftsführer Kalle Ruch vorgeschlagen, den namenlosen Sitz der Zeitung in der Kochstraße „Rudi-Dutschke-Haus“ zu nennen. Im April 1993, an Ostern, haben wir die Einweihung gefeiert.

Gretchen Dutschke: Ja, ich war mit meinen Kindern Hosea Che, Polly und Marek da. Und aus Luckenwalde und Potsdam waren auch Dutschkes gekommen. Ich erinnere, dass die Feier in der staubigen Baustelle des Restaurants im Parterre des alten taz-Hauses stattfand. Ich habe berichtet, dass Rudi die Gründung der taz unterstützt hatte, weil er nicht wollte, „daß die Informationen in den Händen von Gangstern und Mördern wie Springer bleiben sollten“. Außerdem hätte ich gesagt, so hieß es in dem taz-Bericht über die Feier, es ginge darum, dem „Plastik-Junk, Fernsehkartoffeln, Müllbergen und Streben nach Geld“ eine Alternative entgegenzusetzen. Nun ja.

taz Genossenschaft: Es hat dir und der Familie gefallen, dass wir das taz-Haus nach deinem verstorbenen Mann benannt haben?

Dutschke: Auf jeden Fall. Wir fanden es schön, dass so an Rudi erinnert wurde. Es ist doch auch wichtig, dass die Linke sich ihrer Geschichte vergewissert und bewusst ist, und die Bewegung von 68 war für Berlin eine wichtige und prägende Sache. Sehr gut gefallen hat uns auch, dass die taz und die Grünen es 2008 endgültig durchgesetzt haben, dass der Teil der Kochstraße, an dem auch der Sitz des Axel-Springer-Verlages liegt, in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt wurde. Und der Springer-Verlag daraufhin seinen Haupteingang und seine Postadresse um die Ecke in die Axel-Springer-Straße verlegt hat. Aber wenn die Ampeln ausfallen, haben diejenigen, die auf der Dutschke-Straße fahren, Vorfahrt gegenüber denjenigen, die auf der Springer-Straße kommen. Rudi hat Vorfahrt.

Gretchen Dutschke-Klotz

Gretchen Dutschke-Klotz, geb. Klotz, ist eine aus den USA stammende Autorin und ehemalige Studentenaktivistin. Sie war die Ehefrau des 1979 verstorbenen Aktivisten der deutschen 68er-Bewegung Rudi Dutschke.

taz Genossenschaft: Rudi war ein Antiautoritärer. Er war gegen Personenkult. Hätte er sich gefreut, wenn ihm jemand gesagt hätte, dass eines Tages ein Haus und dann eine Straße nach ihm benannt würden?

Dutschke: Ich denke, schon. Er war gegen Führer. Aber er war sich dessen bewusst, dass es in Bewegungen immer Menschen gibt, die einen größeren Einfluss haben als andere. Das fand er schon o. k., und dass er Einfluss hatte, das wusste er. Aber er blieb ein Antiautoritärer.

taz Genossenschaft: Politiker sind oft eitel und narzisstisch, Rudi hingegen schien – zumindest bei den wenigen Malen, an denen ich ihn getroffen habe – überhaupt nicht eitel:

Dutschke: Er hat schon erkannt, dass er eine wichtige Rolle spielte, aber er fühlte sich nicht besser als andere. Er dachte immer, man muss auch von den anderen lernen: Die Lehrer müssen lernen.

taz Genossenschaft: Gegen die Rebellierenden in Deutschland. hatte die Presse, besonders die Springer Presse, nur schlimm geschrieben.

Dutschke: Ja, die Springer-Zeitungen haben in den sechziger Jahren ganz böse über uns berichtet. Sie haben gehetzt. Es war schlimm. Stern, Spiegel und Zeit schrieben gemischt über uns von der antiautoritären Bewegung. Mal positiv, mal weniger positiv. Aber Rudolf Augstein und Gerd Bucerius haben uns viel Geld gegeben, für unsere Verhältnisse viel Geld; für den Vietnam-Kongress und ein Anti-Springer-Tribunal. Auch nach dem Attentat auf Rudi hat Augstein unsere Familie finanziell unterstützt.

„Für Rudi waren Demokratie und Selbstbestimmung das Wichtigste“

taz Genossenschaft: War dein Mann ein leidenschaftlicher Zeitungsleser? Oder las er lieber Bücher?

Dutschke: Er kaufte immer alle Zeitungen, nicht nur eine. Er hatte stets eine große Aktentasche dabei, die voll war mit Büchern und Zeitungen.

taz Genossenschaft: Er hat später als politischer Autor geschrieben, oft für Konkret, später für Das da. Ist ihm das Schreiben leicht gefallen?

Dutschke: Anfangs fiel es ihm leicht, er hat geschrieben, was er dachte. Nach dem Attentat auf ihn an Ostern 1968 fiel es ihm zunächst sehr schwer. Er konnte zuerst gar nicht mehr schreiben und auch nicht lesen. Er hat es wieder gelernt mit Hilfe von Thomas Ehleiter, und auf die Dauer fiel es ihm wieder leichter, aber niemals so leicht wie vor dem Attentat.

taz Genossenschaft: Er war vor allem ein Mann des gesprochenen Wortes, ein faszinierender Redner. Auch wenn er endlose Sätze mit vielen abstrakten Begriffen hervorbrachte und dabei grammatikalisch immer noch die Kurve kriegte.

Dutschke: Ich habe ihm gesagt: Man kann die Dinge auch einfacher sagen, versuche es mal. Damit dich die normalen Menschen auch verstehen können und nicht nur diese Macho-Männer vom SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund).

taz Genossenschaft: Er ist leider an Weihnachten 1979 an den Spätfolgen des Attentats gestorben und wir haben es nicht erlebt, dass er im Bundestag gesprochen hätte. Eigentlich schade.

Dutschke: Er war sich nicht sicher, ob er wirklich in den Bundestag wollte. Wenn er in ein Parlament käme, das wusste er, hätte er viele Kompromisse eingehen müssen. Er hätte, denke ich, lieber als Ratgeber seine Meinung unverstellt gesagt.

Kreuzungsfragen: Rudi hat Vorfahrt an der Kreuzung Rudi-Dutschke-Straße/Axel-Springer-Straße Foto: Detlev Schilke

taz Genossenschaft: Rudi war einer der Gründer der Grünen. Er war kein Pazifist, aber ich frage mich heute: Was würde er dazu sagen, dass diese Partei heute lautstark Waffenlieferungen an die Ukraine und die Remilitarisierung Deutschlands fordert.

Dutschke: Wie sollen wir das heute wissen. Rudi ist vor 45 Jahren gestorben. Was ich weiß, ist: Für ihn waren Demokratie und Selbstbestimmung das Wichtigste. Die Ukrainer haben das Recht zu bestimmen, ob sie unter russischer Herrschaft leben wollen oder nicht. Andererseits kann man verstehen, dass die Menschen genug von den Toten haben. 🐾

Die Fragen stellte Michael Sontheimer für die taz Genossenschaft. Sontheimer war Chefredakteur der taz und ist seit 15 Jahren im Kuratorium der taz Panter Stiftung.