■ Interview mit Gheorge Raducanu, 41, Sozialdemokrat, einziger Vertreter der Roma im rumänischen Parlament: „... diese alte Geschichte!“
taz: In Rumänien hat mit den Parlamentswahlen kein Machtwechsel stattgefunden. Bleibt auch für die Roma alles beim alten? Was hat die Wahl für das Roma- Volk gebracht?
Raducanu: Unser Volk lebt in bitterer Armut, ohne Bildung, ohne politisches Bewußtsein. Das muß man immer im Auge behalten, wenn man über die Probleme der Roma spricht. Für mich ist es schon ein positives Zeichen, daß sich über 100.000 Roma zum politischen Dachverband der Roma bekannten. Vor zwei Jahren bekamen wir nur um die 20.000 Stimmen, jetzt erreichte unsere „Sozialdemokratische Roma-Partei“ allein 55.000 Stimmen, die „Liberale Demokratische Roma-Partei“ weitere 30.000, die anderen beiden Gruppierungen ebenfalls über 10.000 Stimmen. Natürlich ist dies nicht zufriedenstellend, wenn man weiß, daß über zwei Millionen Roma in Rumänien leben und nur fünf Prozent von ihnen ihre nationale Herkunft mit Stolz tragen. Die anderen schämen sich, Roma zu sein. Nur zum Vergleich: Fast alle Ungarn Siebenbürgens haben dem „Demokratischen Bund der Ungarn“ ihre Stimme gegeben, sie haben nun 29 Abgeordnete im Unterhaus und 12 im Senat, also eine Lobby, die uns fehlt.
Wem gaben dann die Roma ihre Stimme? Den Oppositionsparteien in der „Demokratischen Konvention“ oder der „Front“?
Ich glaube, meist der „Front der Nationalen Rettung“. Ich bin viel im Lande herumgereist und habe bemerkt, die Roma trauen der „Demokratischen Konvention“ nicht zu sehr. Da wir keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten hatten, ließen wir unseren Landsleuten offen, für Ion Iliescu oder für den Oppositionsführer Emil Constantinescu zu stimmen. Wir sagten, Einfluß auf den Präsidenten haben wir eh nicht, wählt, wen ihr wollt, nur vergeßt als Roma nicht, eure eigene nationale Partei auf der Parteienliste anzukreuzen.
Es scheint Sie also nicht zu stören, daß Iliescu erneut Präsident wird, obwohl man mit seinem Namen, auch im Ausland, nicht gerade eine moderne Demokratie in Rumänien verbindet?
Ich persönlich ziehe Petre Roman vor, das ist ein Reformer. Aber der hat leider nicht zur Präsidentschaft kandidiert. Also blieb nur die Wahl zwischen Iliescu und Constantinescu. Wem vertrauen? Die Ungarn Siebenbürgens wußten, welche Vorteile sie bei einem Regierungswechsel haben. Constantinescu will Regionalisierung, will den Menschen auf lokaler Ebene mehr Rechte einräumen, d.h., die Ungarn können in ihren Gemeinden mehr Autonomie erwarten. Aber wir Roma? Glauben Sie denn, der „Demokratische Konvent“ setzt sich für unsere Minderheitenrechte stärker ein als die „Front“? Die meisten Roma, das habe ich immer wieder auf dem Lande gehört, haben mit der liberalen Intelligenz keine guten Erfahrungen gemacht. Auch kluge Köpfe haben Ressentiments gegen uns, sind auf „Zigeuner“ nicht gut zu sprechen. Die einzigen, die sich noch am besten in unsere Lage versetzen können, sind die Ungarn, eben weil sie als nationale Minderheit ähnliche Probleme haben wie wir.
Worüber beklagen Sie sich, wie zeigt sich die alltägliche Unterdrückung gegen Roma?
Es ist ein ständiges Auf und Ab. Vor einem Jahr war es ganz schlimm, da ereigneten sich Dutzende pogromartiger Zwischenfälle. Derzeit ist es relativ ruhig, aber keiner weiß, wann rumänische Nationalisten erneut Roma- Dörfer überfallen und Häuser niederbrennen werden, wann es erneut zu organisierten Schlägereien kommt. Man lebt in ständiger Angst und Ungewißheit. Wie Kinder von ihren Eltern oftmals willkürlich geschlagen werden, so stecken wir die Schläge gewalttätiger und haßerfüllter Rassisten ein, die uns als Sündenböcke für alles Böse sehen.
Flüchten deshalb so viele Roma aus Rumänien nach Westeuropa und Deutschland?
Ach, diese Geschichte. Angeblich sind es die Roma, die das deutsche Asylgesetz auszuhöhlen versuchen. Angeblich sind es in der Mehrzahl Roma, die illegal nach Deutschland einreisen. Eine wunderbare Geschichte für die Medien in Berlin und in Bukarest. Man hat wieder Sündenböcke. Ich glaube daran nur, daß viele Bürger Osteuropas Richtung Westen flüchten, darunter natürlich auch Roma. Aber ich denke, weit mehr Roma aus den jugoslawischen Kriegsgebieten, auch aus dem Kaukasus und Moldawien, als aus Rumänien fragen um Asyl an. Und diese Menschen flüchten wirklich vor dem Krieg.
Ein anderer rumänischer Roma-Politiker, König Bulibascha Ioan Cioaba, warnt aber, er werde eine Million Roma von Rumänien „auf nur ihnen bekannten Wegen“ nach Deutschland schicken, falls Bonn nicht Wiedergutmachung für die etwa 35.000 Roma leiste, die im Zweiten Weltkrieg in Konzentrationslagern umkamen ...
Cioaba paßt genau in das Bild, das die Welt von uns Roma hat. Soll der selbsternannte „König aller Roma“ seine Politik machen, ich rede ihm da nicht hinein. Nur eines sollte man wissen: außer seinem Pomp, seinem extravaganten Lebensstil und Reichtum besitzt der Bulibascha nichts. Die rumänischen Roma stehen nicht hinter ihm und seinen Sprüchen. Das ist keine seriöse Politik, zu sagen, wenn Bonn nicht zahlt, schick' ich meine Leute, wenn Bonn so entschädigt, wie ich es will, dann rufe ich alle Roma, die sich derzeit in Deutschland aufhalten, zurück.
Was wollen Sie politisch anders machen?
Einen Politiker, der sagt, was er erst in zwanzig Jahren erreicht haben will, hält man wohl für verrückt. Und dennoch haben wir ein Programm für eine so lange Zeit ausgearbeitet. Wir glauben nicht an schnelle Erfolge. Die Vorurteile gegen „Zigeuner“, die Gleichsetzung, ein „Zigeuner“ sei ein Dieb und Gauner, findet man überall in Europa, in allen Gesellschaftsschichten. Wir fordern daher in Rumänien Grundschulen für unsere Volksgruppe, in denen neben Rumänisch auch Romanes gelehrt wird, wir fordern eigene Vertreter im Arbeits- und Kulturministerium, eigene Radio- und Fernsehprogramme. Die meisten Roma schämen sich ihrer Herkunft, sie leben ständig mit dem Komplex, „niedrigere Menschen“ zu sein. Als Angehörige der ärmsten Einkommensschichten und ohne ausreichende Bildung werden sie auch leicht straffällig, fallen sie in der Gesellschaft unangenehm auf. Wir müssen uns emanzipieren, staatlicherseits materielle Hilfe zugestanden und weit mehr Verständnis von seiten der Gesellschaft bekommen. Ansonsten bleiben die Roma die Ausgestoßenen, nicht nur in Rumänien. Das Interview führte
Roland Hofwiler
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