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Institut fragt Schüler ausDunkelforschung ärgert Eltern

Ein Institut erforscht die Lebenswelt von Neuntklässlern. Anfangs ohne offizielle Genehmigung.

Nicht allen gefallen seine Studien: KFN-Chef Christian Pfeiffer Bild: AP

Drogenkonsum, Fragen nach Gewalterfahrung und selbst begangenen Straftaten: Dass sein Kind Anfang Juni solche Fragen für eine Untersuchung von SchülerInnen beantworten sollte, ärgerte Hans N. (Name geändert). Nicht nur, weil die Schüler auch gebeten wurden, Angaben über ihre politische und religiöse Gesinnung, ihr Verhältnis zum Elternhaus, Vereinsmitgliedschaften und ihre soziale Situation zu machen. Auch dass die Erlaubnis der Eltern für diese Befragung nicht eingeholt wurde, ärgert den Elternvertreter.

Der 38-seitige Fragebogen, der seinem Kind und dessen MitschülerInnen, NeuntklässlerInnen einer Oberschule in Friedrichshain-Kreuzberg, vorgelegt wurde, stammt vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN). Die Befragung, die an insgesamt 150 Schulen durchgeführt werden soll, erfolgt im Auftrag der Berliner Innenverwaltung. Die wolle mit der so genannten "Dunkelfeldbefragung" "abseits der offiziellen Polizeistatistik Erkenntnisse über Jugendkriminalität, Schulerfolg, sozialen Hintergrund und Medienkonsum" gewinnen, erklärt Dirk Baier, der Projektleiter der Berliner Studie beim KFN.

Die Ergebnisse einer früheren Studie des Instituts, dessen Leiter der frühere niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer ist, hatten kürzlich für Aufsehen gesorgt, da sie den Islam als einen verstärkenden Faktor für Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen ausmachte.

Für Hans N. sind die Fragen eine Zumutung: "Auf Gewaltopfer könnten sie traumatisierend wirken", fürchtet er. "An den Haaren herbeigezogen" nennt das Projektleiter Baier: Die Schüler könnten die Befragung jederzeit abbrechen. Die Informierung der Eltern ist laut Berliner Schulgesetz bei über 14-Jährigen nicht nötig, doch eine Regel, die sich das KFN selbst auferlegt hat. An einer einzigen Schule seien die Eltern zu spät informiert worden, so Baier: "Die Bögen aus dieser Schule wurden vernichtet."

Insgesamt 5.000 Schüler sollen im Rahmen der noch laufenden Untersuchung befragt werden. Von den bislang angeschrieben Schulen hätten 94 ihre Teilnahme zugesagt, 82 hätten abgelehnt, heißt es aus der Senatsschulverwaltung.

Die muss solche Studien genehmigen. Fraglich bleibt deshalb, warum mit der Studie überhaupt schon begonnen wurde. Denn die nötige Genehmigung lag bei der ersten Nachfrage der taz Ende vergangener Woche gar nicht vor. Erst am Dienstag teilte die Pressestelle von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) mit, die Studie sei nun genehmigt: mit Datum vom Montag.

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5 Kommentare

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  • P
    Permit65

    Es ist zwar richtig, dass die Jugendlichen über 14 Jahre ohne Einwilligung der Eltern befragt werden dürfen, allerdings erst dann, wenn die Eltern vorher über die Befragung informiert werden. §65(3) des Berliner Schulgesetzes. Nur in den Fällen, in denen die SchülerInnen die Eltern nicht informieren, darf davon abgewichen werden. Sie sollten sich beim Datenschutzbeauftragten informieren

  • HM
    Hans Mankillun

    @roterbaron: Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen ist ein Verein und keine "Behörde". Allerdings hat es einen Forschungsauftrag von der Berliner Verwaltung.

    Für die Wissenschaft gelten strenge Datenschutzregelungen. Bitte informieren Sie sich z.B. beim Berliner Datenschutzbeauftragten (www.datenschutz-berlin.de), bevor Sie laut losschreien.

    Mit Sicherheit wird es für die Berliner Verwaltung nicht möglich sein Rückschlüsse auf Schulen und Klassen zu ziehen. Genau aus diesem Grund ist doch der Auftrag an das KFN vergeben worden, das als eine Art Datentreuhänder auftritt. Sensible Informationen über die Stichprobe werden wahrscheinlich komplett gelöscht oder in einem getrennten Datensatz aufbewahrt. Das betrifft besonders Daten wie die Schule und Klasse, die eine Reanonymisierung anhand der übrigen Daten ermöglichen würden.

     

    @Fritz: Das KFN hat rechtlich keinen Fehler begangen. Die Eltern mussten nicht gefragt werden, schreibt sogar die taz.

     

    @Auch ein Kriminologe: Danke!

  • F
    Fritz

    Big Brother ist wachting you!

     

    Was ist ja wie in der ehemaligen DDR?

    PS: Ich bin "Wessi" ...

     

    Also, wenn solche Forschungen einen Sinn haben, was durchaus sein mag, dann sollten Eltern VORHER befrat und informiert werden!

     

    Ich finde diese Vorgehensweise unverschämt!

  • AE
    Auch ein Kriminologe

    just 2 cents,

     

    das KFN hat hier eigentlich nichts falsch gemacht und ich habe auch keine Idee wie sich Umfrageergebnisse vielleicht verzerren könnten, wenn die Eltern einen Fokus auf der Umfrage haben. Der Umweg über die Landesschulbehörden ist zwingend, während die Elterninitiative etwas von pädagogischer Intervention hat.

     

    Ob allerdings der gewählte Zugang und die Methode Ergebnisse über die Lebenswelt der Jugendlichen produzieren, scheint bei den Dunkelfeldstudien und dem kausalanalytischen Auswertungen fraglich. Studien zur Lebenswelt müssten wohl eher qualitativ ausgerichtet sein, ethnographisch vorgehen und nach dem Sinn fragen, den die Jugendlichen damit in ihrer kontextualisierten Lebenssituation verbinden. Das KFN interessiert sich leider nur begrenzt dafür. Das liegt wohl an den durchgeführten Auftragsforschungen, die weitestgehend in eine Voodoo Criminology münden und den Zugang zu Lebenswelten und Alltag eher verstellen.

  • R
    roterbaron

    Das ist eine riesen Sauerei !!! Wenn man das in Vereien machen würde, wären Kinder und Datenschützer so schnell da, dass man kaum Zeit zum Luft holen hätet!Und WOO BITTE sind die jetzt?

     

    Nur weil Kinder von einer Behörde befragt werden ist das nun Plötzlich legitim. gerade solch brisante fragen....

     

    Das Problem ist man kann auf jedenfall Rückschlüsse mindestens auf das Umfeld und die Schule wenn nicht sogar auf bestimmte Klassen schließen. Das ist ja schließlichj das Ziel!

     

    Das gleicht damit einer Brandmarkung. Mal sehen wie lange es dauert bis wir "No-Go-Schulen" haben.Die Selektion im Kindes und Jugendalter geht weiter.

     

    Dieses "Institut" und unserer Bildungssenator sollten sich in Grund und Boden schämen!