piwik no script img

Inspiration Schleswig-Holstein und Jamaika sind gar nicht so weit auseinander. So ist die Geschichte des Flensburger Rums mit Jamaika verbunden. Mit dem Groove tut sich der Norden allerdings noch schwerReggae, Rum und Red Stripe

von Knut Henkel

Zwischen Jamaika und Schleswig-Holstein gibt es viele Gemeinsamkeiten: Beide haben lange, sandige Strände, auf beiden wächst viel Gras, und beide haben es mit dem Rum. Auf Jamaika wird unter anderem Zuckerrohr angebaut, das noch auf der Insel zu Zucker weiterverarbeitet wird – und zu Rum, von dem noch immer etwas nach Schleswig-Holstein geht: nach Flensburg nämlich, wo ein typisch norddeutscher Rum-Verschnitt produziert wird, der unter so klangvollen Namen wie Boddel, Sonnberg, Hansen & Co. an der Nord- wie Ostsee konsumiert wurde und wird.

Allerdings gibt es zwischen Schleswig-Holstein und Jamaika auch einige Unterschiede. So funktioniert auf der Insel wenig ohne wummernde Bässe. Auf der Baustelle, in der Einkaufspassage und auch beim Bäcker liegen fette Bässe und coole ­Vibes in Luft.

Verkauft wird diese Musik zum Beispiel bei „Rockers International“, wie einer der alteingesessenen Plattenläden in Jamaikas Hauptstadt Kingston heißt. Vor dem Shop, wo alte Vinyl-Singles von der Decke hängen, ist auf einer alten Mauer ein Por­trät von Reggae-Legende Augusto Pablo zu sehen. Drinnen sind alte Plattencover an die Wände gepappt. 135 Orange Street lautet die Adresse, und die ist so etwas wie die Wiege des Reggae. Denn mit Dennis Brown und Prince Buster sind gleich zwei Großmeister des Reggae hier geboren, die Legende Bob Marley hat hier Platten signiert, und Sir Coxsone Dodd hatte um die Ecke sein Studio.

Doch das ist Geschichte. Rund um die „Beat Street“, wo Platten aus altem, recycelten Vinyl verkauft wurden, ist es ruhig geworden. Ein paar Old-School-Fans auf der Suche nach ein paar Klassikern für die analoge Anlage werden hier noch fündig, aber auch in Jamaika weiß eher die alte als die junge Generation zu schätzen, wie Vinyl klingt.

Geändert hat sich aber wenig daran, dass „Musik unser größtes Exportprodukt ist“, wie Mitchie Williams sagt. Er betreibt den Plattenladen heute und verkauft hier und da alte Vinyl-Scheiben von Ken Booth und Winston McAnuff, aber eben auch die Hits eines Sean Paul, der als Dancehall-Großmeister begann und heute die Charts mit poppigen Vibes versorgt.

Auf Jamaika, das nur ein paar Kilometer von Kuba entfernt liegt, gibt es eine Fülle von Musikstilen, darunter Mento, Reggae, Rock Steady, Dancehall – und dazu gehört in allerbester Tradition auch Ganja. So wird Marihuana auf Jamaika genannt. Dessen charakteristischer Duft ist hier und da am Strand, rund um den Hafen von Kingston genauso zu riechen wie auf den großen Musikfestivals. Ein guter Joint gehört zu Jamaika wie ein Red Stripe, das lokale Bier, das anders als Flensburger und Dithmarscher ohne Plopp-Verschluss auskommen muss.

Anders als in Schleswig-Holstein, dass vor allem mit Segelregatten und Handball sportlich von sich reden macht, steht Jamaika ganz im Zeichen der Sprinter. Sprint-Ikone Usain Bolt ist auf der Insel, auf der drei Millionen Menschen leben, so bekannt wie die Sängerin und Schauspielerin Grace Jones. Jamaikas Sprintstaffel hat in den letzten Jahren Medaillen en gros abgeräumt. Und Jamaikas Fußballnationalmannschaft, die Reggae Boyz, hat sich unter dem deutschen Fußballtrainer Winfried Schäfer immerhin ein paar Achtungserfolge erspielt.

Sport und Musik sind auf Jamaika so wichtig, weil sie Sprungbretter sind, um der Armut und der Kriminalität zu entkommen. Jede(r) Fünfte auf der Insel lebt unter der Armutsgrenze, gleichzeitig gilt Jamaika mit seinen prächtigen Stränden, Tauchgründen und den malerischen Bergen als Destination für einen eher luxuriösen Tourismus, für den alles Nötige herangekarrt wird.

Es sind diese Gegensätze, die ihre ganz eigene Dynamik entfalten. Zum einen gilt, dass wer als Tourist nicht rauskommt aus den Bilderbuch-Resorts, nichts mitbekommt vom echten Jamaika. Zum anderen sind Kameras und Geldbörsen der Touristen, die mit Kreuzfahrtschiffen und pauschal nach Jamaika kommen, verlockende Objekte. Die Hotels reagieren mit mächtigen Mauern und Security an den Eingangstoren, und auch um die Häuser der Mittel- und Oberschicht in Kingston wachsen die Zäune und die elektronischen Sicherheitsvorkehrungen.

Kleine Unterschiede Ein guter Joint gehört zu Jamaika wie ein Red Stripe, das lokale Bier, das anders als Flensburger und Dithmarscher ohne Plopp-Verschluss auskommen muss

Die 54-jährige Geschichte der Insel ist von Korruption und Missmanagement geprägt, soziale Verantwortung wird klein geschrieben. Viele Jamaikaner sind darum ausgewandert: Die Communitys in den USA und Great Britain sind bekannt, dort werden ähnlich wie in Kingston unzählige Studios betrieben, wo Woche für Woche neue Songs entstehen, die in den Charts landen sollen.

Dieses Erfolgsmodell läuft allerdings längst nicht mehr so rund wie früher, und ökonomische Alternativen sind auf der Insel rar gesät. Außer vom Tourismus lebt Jamaika von der Ausbeutung der Bauxit- und Aluminiumvorkommen, die sich in den Händen internationaler Gesellschaften befinden und sich immer weiter in die Insel hineinfressen. Das ist schlecht für die Natur, zum anderen entsteht beim Abbau gesundheitsgefährdender Staub, der besonders Kingston belastet.

Ein weiterer Arbeitgeber, die Landwirtschaft, ist verantwortlich für die Verschmutzung von Flüssen und Seen durch ungeklärte Abwässer und Einschwemmung von Dünge- und Spritzmitteln. Neben dem Zuckerrohr produziert sie den Blue-Mountain-Kaffee, den sich allerdings nur Gourmets leisten können, denn der Hochlandkaffee von der Insel wird teuer gehandelt.

Jobs gibt es auf Jamaika auf jeden Fall zu wenig, und so lässt sich nur hoffen, dass die kreative Jugend der Insel alsbald ein neuen Musikstil entwickelt, um an die große Zeit von Bob Marley und Co. anzuknüpfen. Damals liefen die Vinyl-Presswerke in Jamaika heiß, um die Welt mit immer neuen Songs zu versorgen. Musikstudios gibt es immer noch auf der Insel. Aber deren Zahl nimmt genauso ab wie die Kunden bei „Rockers International“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen