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Initiative für mehr BasisdemokratieBürger haben nichts zu sagen

Der Bürgerentscheid in Lichtenberg ist mangels Wählern gescheitert. Initiative fordert, dass Volksabstimmungen bindend werden. Das motiviere zum Urnengang.

Verbindlich oder nicht? Volkswille in der Urne

Der gescheiterte Bürgerentscheid in Lichtenberg zeigt nach Ansicht der Vereins Mehr Demokratie, dass das Instrument reformiert werden sollte. "Wenn Bürgerentscheide zu Meinungsumfragen verkommen, schadet das der direkten Demokratie insgesamt, denn Bürgerinnen und Bürger fühlen sich von der Politik nicht ernst genommen", heißt es in einem Aufruf für mehr Verbindlichkeit bei Bürgerentscheiden, der von zahlreichen Politikern unterstützt wird.

Die Abstimmung war am Sonntag gleich doppelt gescheitert: Lediglich 36 Prozent der Abstimmenden sprachen sich für den Bau einer Supermarktfiliale an der Landsberger Allee aus, 64 Prozent waren dagegen. Zudem lag die Wahlbeteiligung deutlich unter den notwendigen 15 Prozent - nur 9,1 Prozent der Wahlberechtigten gingen in die Wahllokale. Eine Bürgerinitiative hatte 13.000 Unterschriften für die Globus-Filiale gesammelt, deren Bau das Bezirksparlament zuvor abgelehnt hatte mit der Begründung, dass dadurch kleinere Läden gefährdet seien. Das sah auch die Mehrheit der Wähler so.

Für Michael Efler von Mehr Demokratie ist damit das Vorurteil widerlegt, dass zu einem Bürgerentscheid immer nur die wenigen Befürworter gehen, während die schweigende Mehrheit zu Hause bleibt: "Das ist ein Beleg dafür, dass ein Quorum nicht notwendig ist." Die Hürde, erst einmal genug Unterschriften zu sammeln, sei ausreichend.

Doch selbst wenn die Warenhaus-Befürworter in der Mehrheit gewesen wären und sie auch das Quorum geknackt hätten: Die Entscheidung wäre nicht verbindlich gewesen, denn sie wird vom Senat statt vom Bezirk getroffen. "Ich vermute mal, auch dadurch lässt sich die geringe Wahlbeteiligung erklären", meint Efler. Wenn das Ergebnis am Ende ohnehin nicht zählt, sei es nicht sehr attraktiv, sich an der Abstimmung zu beteiligen.

Zusammen mit einer bunten Mischung von Politikern fordert Mehr Demokratie daher, dass Bürgerentscheidungen auf Bezirksebene verbindlicher werden. Von den bisher 27 Berliner Begehren war nur eines komplett verbindlich, zwei waren es teilweise. Efler: "In nahezu allen Fällen ist die Bevölkerung auch nach einem erfolgreichen Bürgerentscheid auf das Wohlwollen des Bezirksamts oder des Senats angewiesen, weil viele Bürgerbegehren nur ersuchende oder empfehlende Wirkung hatten."

Der Hintergrund: Die Bürger können nur die Entscheidungen an sich ziehen, die beim Bezirksparlament liegen. Dieses hat allerdings gegenüber der Bezirksverwaltung nur eingeschränkte Rechte, es kann häufig nur Wünsche und Anregungen äußern. Darum fordert die Initiative, dass Bezirksparlamente ein allgemeines Entscheidungsrecht über alle Bezirksaufgaben erhalten.

Die Forderung wird von Politikern der verschiedensten Parteien unterstützt, etwa von Volker Ratzmann, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Abgeordnetenhaus: "Die Stimme der Bürgerinnen und Bürger muss zählen", findet er. Mit dabei sind auch Dagmar Pohle (Linke), Bezirksbürgermeisterin in Marzahn-Hellersdorf, Henner Schmidt (FPD-Abgeordneter), Johannes Kraft (CDU-Fraktionsvorsitzender im Bezirksparlament Pankow), Marianne Suhr (Vorsteherin des Bezirksparlaments Charlottenburg-Wilmersdorf) und Andreas Baum (Piratenpartei-Vorsitzender).

Auch Andreas Rudek vom Berliner Wassertisch unterstützt die Forderungen: "Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Anstrengungen der Bürger politisch nicht ernst genommen werden." Direkte Demokratie müsse auf allen Ebenen politischer Entscheidungsfindung ausgebaut und gestärkt werden.

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5 Kommentare

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  • UF
    uwe fessler

    Bürger hatten noch nie etwas zu sagen. Wir durften noch nicht einmal die Verfassung ratifizieren, obwohl das die alliierten Streitkräfte verlangt hatten. 1990 schließlich sagte sich Helmut Kohl und seine Parteibonzen: "Wir vertreten das Volk und bestimmen die Verfassung stellvertretend. Ein Volk braucht eben Führung.

  • T
    Tillmann

    Das beste ist ja, dass in ca. 200m Entfernung, gerade ein ähnliches Möbelhaus dicht gemacht hat.

    Dieser riesen Komplex steht jetzt leer, dürfte in etwa die Ausmaße haben wie der Neubau.

    Ja, wir in Berlin wissen schon wie man Geld verbrennt.

  • V
    Verleger

    Mangelndes Interesse und mangelnde Durchsetzungskraft untergraben zwar die direkte Demokratie - aber das einfach nur festzustellen und dann Schluss zu machen ist auch keine Lösung.

     

    Zu wenige Interessenten?

    Die meisten Bürgerentscheide beziehen sich nur auf einen sehr kleinen Stadtteil. Natürlich sind Quoren, die sich auf ganze Bezirke beziehen, kaum einzuhalten. Denkbar wäre die Quoren abzuschaffen, damit nur jene entscheiden die betroffen genug sind um sich zu beteiligen - ohne, dass alle die sich aus Mangel an Betroffenheit nicht beteiligen den Entscheid zum Scheitern bringen.

    Eine Alternative ist die Aufteilung der Bezirke in kleinere Stadtteile, mit entsprechend geringeren Quoren.

     

    Die Politier lehnen die Ergebnisse einfach ab?

    Es gibt durchaus Möglichkeiten die Spielregeln so zu ändern, dass der Bürger wieder ernst genommen werden muss. Hier nur ein Beispiel:

     

    http://bb.mehr-demokratie.de/aufruf-berlin.html

  • MM
    mit Majo

    Die Bürger haben sich schon längst von der Demokratie verabschiedet, weil normale Menschen keine Lust auf Korruption, Ausgrenzung und immer der Dumme zu sein haben. Vielen Dank Politiker, du bist Deutschland!

  • S
    Schneider

    Der Bürgerentscheid in Lichtenberg ist zwar mangels Wählern gescheitert, aber ein Erfolg für die Bürgerinitiatve in eigener Sache.

    Diese Bürger waren mutig und haben für deren

    Belange gestritten.

     

    Bedauerlicherweise haben sich Politiker, insbesondere aus dem Bezirksamt Lichtenberg, schon vor dem Wahltermin geäußert, daß bei Erfolg, trotzdem keine Änderung zugunsten der Bürger getroffen würde.

     

    Stadtrat Geisel favorisiert an anderer Stelle: Storchenhof, ein größeres Neubau-Handelsprojekt.

    Luftlinie ungefähr 250 bis 300 m von der Landsberger Allee entfernt!

     

    Nur weil ein altes Haus, ehemals Gutsschloß,

    wieder aufgebaut und mit kulturellen Leben

    eines Tages erfüllt sein soll,

    müsse ein neues größeres Handelszentrum neben dem alten Handelszentrum Storchenhof gebaut werden.

     

    Brauchen die Lichtenberger bzw. Hohenschönhausener das Gutsschloß?

     

    Schade um das Geld.

    Schade, wenn z. B. die Galerie 100,

    von der jetzt allseits bekannten Konrad-Wolf-Straße,

    in das Gutshaus umgezogen werden soll.

     

    Kieze an einer Stelle aufwerten wollen und

    das zu Lasten der bestehenden Attraktivität an anderer Stelle?

    Und die Bürger haben was zu sagen!