■ In einem Castor-Behälter sollen zum ersten Mal hochradioaktive Brennelemente nach Gorleben transportiert werden. Die GegnerInnen bereiten gewaltfreie Aktionen vor.: Der Castor heizt das Wendland auf
In einem Castor-Behälter sollen zum ersten Mal hochradioaktive Brennelemente nach Gorleben transportiert werden. Die GegnerInnen bereiten gewaltfreie Aktionen vor.
Der Castor heizt das Wendland auf
Auf dem Marktplatz von Lüchow bietet sich dieser Tage allabendlich das gleiche Bild. Mit Kerzen in den Händen versammeln sich gut hundert AKW-Gegner jeden Alters zur Mahnwache gegen den Castor-Transport. „Wir machen das in der Art der Leipziger Montagsdemonstrationen“, sagt Marianne Fritzen vom Vorstand der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Natürlich hofft die Bürgerinitiative immer noch, daß „der ganze Transport abgeblasen wird“. Mit einem „Bahnspaziergang“, der am Samstag um 10 Uhr in dem Dorf Pudripp bei Dannenberg beginnen soll, wollen die AKW-Gegner noch einmal zeigen, daß es der Castor-Transport nicht einfach haben wird. Aber wenn er denn tatsächlich bis in das Hannoversche Wendland kommt, ist man entschlossen, sich „querzustellen“.
Die andere Seite – und auf der steht natürlich jetzt auch die niedersächische Landesregierung mit ihren Polizeikräften – rüstet derweil für die kommende Woche mit den ihr eigenen Mitteln auf. „Der Belagerungszustand hat schon wieder begonnen“, sagt die BI- Vorsitzende Susanne Kamien, „du gehst irgendwo draußen auf einem Feldweg spazieren, und plötzlich bricht ein Panzerfahrzeug des BGS aus dem Gebüsch.“ Etwa fünftausend Bereitschaftspolizisten und Bundesgrenzschützer werden wohl eingesetzt werden, um den sechs Meter langen „Castor IIa“ mit seinen neun abgebrannten Brennelementen auf dem Weg von Philippsburg in Baden-Württemberg nach Gorleben zu schützen. Allein das Land Niedersachsen, dessen Ministerpräsident das Castor-Lager auf jeden Fall bis zu einem Abschluß der Energiekonsens-Gespräche leerhalten wollte, wird einen zweistelligen Millionenbetrag für den Polizeieinsatz aufbringen müssen.
Der Castor-Transport als symbolische Politik
Inzwischen ist selbst die Bundesanwaltschaft mit den Folgen des ersten Castor befaßt. Sie hat die Ermittlungen wegen der Sabotageaktionen vom Montag an Bahnstrecken rund um Hannover an sich gezogen und sucht nun gleich nach den Gründern und Mitgliedern einer „terroristischen Vereinigung“.
Allen Beteiligten ist klar, daß es bei dem ersten Transport eines Castor-Behälters keineswegs um die „Entsorgung“ des AKW Philippsburg geht, sondern um symbolische Politik. Exemplarisch soll die Inbetriebnahme jener 190 Meter langen Halle im Wald bei Gorleben durchgesetzt werden, die seit nunmehr zehn Jahren leersteht und für deren Genehmigung aus dem Jahre 1983 längst die Grundlagen entfallen sind. Für eine Zwischenlagerung von fünf bis sieben Jahren, bevor abgebrannte Brennelemente dann in die Wiederaufarbeitung gehen, wurde das Castor- Lager einst konzipiert. Inzwischen verbleiben die abgebrannten Brennelemente längst in den Kompaktlagern der Atomkraftwerke selbst. Auch für jene neun Brennelemente, die in Philippsburg im Sommer mit Mühen in den Castor verfrachtet wurden, war selbstverständlich im dortigen Kompaktlager mehr als genug Platz.
Gegen die Genehmigung für das Castor-Lager ist seit 1983 eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg anhängig. Erst kürzlich hat das Gericht endlich den 31. Januar 1995 als Termin für den Beginn der Hauptverhandlung gefunden. Die Kläger hatten schon im Sommer, als der Transport von Philippsburg erstmals angekündigt wurde, bei Gericht beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wiederherzustellen. Über diesen Antrag auf einen Einlagerungsstopp bis zur Hauptverhandlung will das Lüneburger Gericht noch vor dem Transport entscheiden. Dabei hat es das öffentliche Interesse an einer sofortigen Inbetriebnahme des Lagers gegen das Rechtsschutzinteresse der Kläger abzuwägen. Geradezu verzweifelt wiederholt der Schriftsatz, den der Hamburger Rechtsanwalt Nikolaus Piontek für seine Mandanten nach Lüneburg gesandt hat, allgemein Bekanntes: Der Transport sei überflüssig. Wegen der Unregelmäßigkeiten beim Beladen des Behälters in Philippsburg wolle das niedersächsische Umweltministerium sogar Ordnungswidrigkeitsverfahren einleiten. „Ein öffentliches Interesse an Transport und Einlagerung des Behälters aus Philippsburg ist nicht erkennbar“, schließt der Anwalt.
Natürlich hofft die Bürgerinitiative, daß das Verwaltungsgericht Lüneburg den Transport und den Selbstlauf der Sicherheitsapparate in letzter Minute noch stoppt. Doch möglicherweise ist eine einfache Verwaltungsgerichtskammer auch überfordert, wenn sich eine Bundesregierung so hartnäckig in symbolische Politik verbeißt. Jürgen Voges, Hannover
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