In Windrichtung von Arcelor

„Keine Gesundheitsbelastung“ durch die Stahlwerke sieht Arcelor, trotz Nickel in der Luft. Die Feuerwehrleute in der Wache nebenan aber sehen rot: alle 20 Minuten und auch auf ihrem Autolack

von Armin Simon

Die 20 Minuten sind um, es geht wieder los: dichter Rauch quillt aus dem großen Block, drückt sich aus dem Dach und allen Ecken. Im Stahlwerk wird die nächste Portion flüssiges Roheisen zu biegsamem Stahl veredelt. Dicke Schwaden verhüllen das Dach, sind kilometerweit zu sehen, erst weiß, dann sandgelb und feurerorange, als ob das ganze Gebäude in Flammen stünde. Jörg Helfers lehnt am Fenster oben im Konferenzsaal der Feuerwache 5. Und winkt ab: „Das ist noch gar nichts.“ Der Hauptbrandmeister ist, was Qualm und Staub angeht, einiges gewöhnt. Und schließlich steht der Wind gerade im Rücken.

„Sie hätten erst einmal heute Morgen da sein sollen“, sagt Helfers. Da herrschte Südwestwind, wie so oft. Und blies den rostroten Staub direkt herüber. Das Fenster hätte Helfers da wohl nicht geöffnet.

Hans-Jürgen Blöckers Arbeitsplatz liegt knappe 500 Meter weiter, der Konferenzsaal, in dem er sitzt, hat gar kein Fenster. „Wir produzieren drei Millionen Tonnen Stahl im Jahr“, unterstreicht der Vorstandsvorsitzende des Bremer Arcelor-Werkes, und es liegt ein wenig Nachdruck in seiner Stimme. „Da sind natürlich Emissionen.“

Die haben erst letzte Woche wieder für Aufregung gesorgt. Messungen im Auftrag der Umweltbehörde hatten an drei Stellen in der Stadt zum Teil weit über den Grenzwerten mit Nickel belasteten Staub nachgewiesen, die Grünen auch die Stahlwerke dafür verantwortlich gemacht (taz berichtete). Gestern mühte sich der dortige Umweltschutz-Chef, die Vorwürfe zu zerstreuen. Dank neuer Filter habe man die Nickel-Emissionen von 172 Kilogramm im Jahr 2001 auf nunmehr unter 50 Kilogramm pro Jahr gedrückt, die Nickelwerte „entsprechen städtischen Verhältnissen“, betonte Markus Erhart. Von einer „Nickeldecke“ über dem Bremer Westen zu reden, sei schlicht falsch. Und für die beiden höchsten Messwerte – im Gewerbegebiet Neuer Steindamm und im Stadtteil Ohlenhof – kämen die Stahlwerke definitiv nicht in Frage. Der Referatsleiter Immissionsschutz im Umweltressort, Ralf Wehrse, nickt.

In Gröpelingen, wo ein exorbitant hoher Wert im April 2005 für die Grenzwert-Überschreitung verantwortlich war, wolle die Behörde ein weiteres Jahr messen, kündigt er an. Und beim Neuen Steindamm habe man nach weiteren Probenahmen in den umliegenden Betrieben inzwischen doch einen möglichen Verursacher „im Fokus“. Auch an der Feuerwache 5 stand im vergangenen Jahr ein Messbecher. Nicht von ungefähr: Regelmäßig gibt es hier Beschwerden über den roten Staub, der sich auf den Privatautos der Feuerwehrleute niederschlägt. „Richtige kleine Kügelchen“ würde der auf manchem Neuwagenlack hinterlassen. Bei Arcelor könne man sich dafür dann einen Gutschein abholen, für eine Autopolitur, weiß Helfers. Und anders als in allen anderen Feuerwachen dürfen die Florians-Jünger in der Gottlieb-Daimler-Straße die hauseigene Waschhalle auch privat nutzen.

Richtig zufrieden sind die Feuerwehrleute damit nicht. „Das Problem“, sagt Hauptbrandmeister Helfers, „ist, dass man es nicht eindeutig nachweisen kann.“ Dass es der rote Staub aus dem Stahlwerk ist, der den Lack beschädigt. Das Messprogramm verlief aus Sicht der Feuerwehrleute enttäuschend. Zwar stellten die Experten fest, dass auch an der Wache 5 mehr Nickel mit dem Staub niederschlug, als zulässig. Die Staubmenge an sich aber lag unterhalb der Grenzwerte. Und auf Rost und Eisen hat die Behörde ihn erst gar nicht gemessen. „Wenn Sie unter einem Baum parken, können danach auch Blattläuse auf dem Auto sein“, sagt Wehrse.

Manchmal, erzählt Helfers, wenn der Wind nach unten drücke, könne man vom Balkon im vierten Stock der Wache den Hof nicht mehr sehen. Und bisweilen sei der danach komplett mit einer roten Schicht überzogen. Zwischen Feuerwache und Stahlwerk hat die Bremer Investitionsgesellschaft (big) Sand aufschütten lassen, viel Platz für neue Betriebe. Niedergelassen hat sich dort bisher keiner.

„Wir haben sehr viel getan für die Staubminderung“, betont Vorstandsvorsitzender Blöcker: Investitionen von zwölf Millionen Euro in den vergangenen sechs Jahren. Weitere sind geplant. Eine zusätzliche Filterlinie für die Sinteranlage. Oder, vielleicht, eine Nutzung des Konvertergases, das im Stahlwerk anfällt. „Seit zehn Jahren sind wir im Gespräch, damit man da ’ne bessere Absaugung hinkriegt“, sagt Immissionsschutz-Experte Wehrse dazu. Qualm und Staub aus allen Ritzen – „das sieht man ja, dass da nicht mehr alles in Ordnung ist.“ Er kündigt an: „Wir werden prüfen, ob diese Anlage dem Stand der Technik entspricht.“

Dann richtet Blöcker erneut das Wort an die versammelten Journalisten. „Das möchten wir Ihnen heute mitgeben“, sagt er: „Da ist keine Gesundheitsgefährdung um unser Werk.“