■ In Südkorea ist Küssen noch immer verpönt: "Popo" als westliche Unsitte
„Popo“ als westliche Unsitte
Seoul (dpa) — „Offen gestanden, ich habe dreimal mit einer Frau geknutscht“, sagt der südkoreanische Student Lee Jin Ah und schmunzelt. Lee ist 25 Jahre alt und unverheiratet. Seine Erfahrungen mit der Liebe und dem Küssen sind keineswegs ungewöhnlich für Koreaner seines Alters. Der Kuß, Popo auf koreanisch, gilt freilich allgemein in dem fernöstlichen Land als verpönt, unsittlich und als eine westliche Unsitte.
Nach den strengen Normen der Tradition, die der chinesische Staatsphilosoph Konfuzius vor über 2.000 Jahren schuf, sind Körperberührungen zwischen den Geschlechtern bis zur Hochzeit gänzlich tabu. „Ab sieben Jahre“, lautet eine alte koreanische Weisheit, „gehen Jungen und Mädchen getrennte Wege.“ Dieser Lebensregel wurde gefolgt bis in die jüngste Vergangenheit.
Händchenhalten oder Küssen, Umarmungen zwischen Mann und Frau oder nur das einfache Händeschütteln passen nicht nur nicht in dieses System von Verhaltensregeln, sondern gelten schlicht als respektlos. Zur Begrüßung verbeugen sich Koreaner voreinander, die Hände fallen auf die Knie — nur nicht so tief und devot wie in Japan.
Lange Zeit besorgten die Eltern das Geschäft der Heirat, und die Kinder hatten zu folgen. Fand die Familie nicht den richtigen Partner, zog man Vermittler hinzu, die sogenannten Matchmaker. Noch heute kommt jede dritte Ehe in Südkorea mit seiner Hilfe zustande. Der Samstagnachmittag in einem Coffee Shop, einem Kaffeehaus, ist meist die Zeit der ersten Begegnung zwischen den beiden Ausgewählten, und nicht selten ziehen die Brautpaare schon wenige Wochen später vor den Traualtar.
Doch industrielle Modernisierung und Telekommunikation, Fernsehen, Film und Reisen haben die Traditionen des alten Korea längst ins Wanken gebracht. Der Einfluß aus dem Westen ist unaufhaltsam. Und so will sich die junge Generation von der älteren auch nicht mehr länger die Wahl des Ehepartners vorschreiben lassen. Händchenhalten zwischen Freund und Freundin ist heute längst keine Seltenheit mehr, genausowenig wie innig umschlungene Liebespärchen auf Parkbänken im Dunkeln. Aber Küssen und Liebkosungen gehören nicht in die Öffentlichkeit. Das geschehe dann in privater Sphäre, in schummrigen Bars zum Beispiel, verrät Student Lee. „Schauen Sie sich doch nur im Stadtviertel von Kangnam um, dort wird auch viel geküßt“, meint er. In der Wohngegend der Neureichen südlich vom Seouler Han-Fluß scheinen die alten Traditionen tatsächlich längst vergessen. Dort amüsiert sich die Seouler Modeschickeria, gibt sich westlich und frönt dem Luxuskonsum.
Doch als normal gilt das nicht. Als vor gut einem Jahr in einer beliebten Fernsehserie zum ersten Mal ein küssendes koreanisches Pärchen zu sehen war, hagelte es Proteste, vor allem von der älteren Generation. „Meine Eltern haben sich nie geküßt oder umarmt und auch nicht darüber gesprochen“, sagt Lee. Das Thema Liebe und Sex, so scheint es, ist in Südkorea tabu.
Die Übernahme westlicher Lebens- und Umgangsformen kann in dem fernöstlichen Land freilich niemand mehr aufhalten — und Koreas Jugend praktiziert das auch längst, wenn auch heimlich und verstohlen. So wie die Verbeugung dem Händeschütteln inzwischen mehr und mehr den Platz räumt, wird auch Popo, der Kuß, einmal die Herzen der Koreaner erobern. Peter Lessmann
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