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■ In Mexiko wurden in neun Jahren 57 Journalisten ermordetNach Protestaktion erschossen

Mexiko-Stadt (taz) – „Von einem pluralistischen Journalismus, der verschiedene politische und soziale Tendenzen vertritt, kann in Mexiko keine Rede sein“, meint Jorge Cruz, Chefredakteur der Zeitung Novedades aus dem Bundesstaat Quintana Roo im Südosten Mexikos. Cruz ist einer der Organisatoren des „Marschs zur Verteidigung der Meinungsfreiheit“. Acht Bundesstaaten hatten die 44 Journalisten in den letzten zwei Wochen durchquert. Mitte November erreichten sie die Hauptstadt. In Pressekonferenzen und Gesprächen mit Vertretern der staatlichen Menschenrechtskommission dokumentierten sie die lange Liste der Einschüchterungsversuche gegen die unabhängige Presse: polizeiliche Durchsuchung der Redaktionsräume, Entlassung unangenehmer Journalisten auf Druck der Lokalpolitiker, illegale Verhaftungen und Morddrohungen.

Die vielzitierte Pressefreiheit gerät genau da an ihre Grenzen, wo die Regierungsinteressen anfangen. „In der Praxis werden die Journalisten gefördert, die das politische System nicht in Frage stellen“, kommentiert Victor Ruiz, Mitglied der Union Demokratischer Journalisten. Mit sogenannten „Sonderzuschlägen“ stehen sie auf den Lohnlisten der staatlichen Pressebüros, Stipendien und zinsgünstige Kredite werden ausschließlich an sie vergeben. Für die kritische Presse, die bemüht ist, aus dem Kreis von Zensur und Selbstzensur auszubrechen, gelten die staatlichen Autoritäten, vom Präsidenten über Bundesstaatsgouverneure bis hin zu den Abgeordneten der seit fast 65 Jahren regierenden Staatspartei PRI, als ein Tabu. „Wenn wir den Oppositionsparteien eine Stimme geben, wenn wir über illegale Abholzung der Wälder oder über die Vertreibung der Bauern berichten, werden wir sofort als ,soziale Unruhestifter‘ abgestempelt“, meint Jorge Cruz. Wer es zudem wagt, konkrete Personen im Zusammenhang mit Korruption, Machtmißbrauch, Menschenrechtsverletzungen oder Drogenhandel zu erwähnen, setzt sein Leben aufs Spiel.

Alarmiert von den ständigen Berichten über Repressalien gegen die Presse, schickte der Internationale Schriftstellerverband PEN letztes Jahr eine Delegation nach Mexiko. Dem vor einigen Monaten veröffentlichten PEN- Bericht zufolge sind in den letzten neun Jahren 57 Journalisten ermordet worden, davon „mindestens 17 in der nun vierjährigen Regierungszeit des Präsidenten Salinas“. Zu einer ernsthaften Strafverfolgung kommt es in der Regel nicht. So ist Victor Ruiz der Ansicht, daß die Staatsanwaltschaft einfach einen Schuldigen „fabriziert“, wenn der öffentliche Druck zu stark wird. Ermittlungen über die Hintermänner der Verbrechen werden von den staatlichen Behörden vor Ort verhindert. „In Mexiko bemühen wir uns weiterhin, die Pressefreiheit zu garantieren“, betonte Salinas de Gortari kürzlich vor Journalisten im Auslandskorrespondenten-Klub der Hauptstadt. Vor dem Gebäude hatten die Teilnehmer des „Marschs zur Verteidigung der Meinungsfreiheit“ eine friedliche Protestaktion organisiert. Unter ihnen befand sich Ignacio Mendoza, Ex-Direktor der Zeitung Novedades. Nachdem die Übergriffe gegen seine Person und seine Familie immer häufiger wurden – hinter den Angriffen stand seiner Meinung nach der Gouverneur Miguel Borge Martin – flüchtete er vor eineinhalb Jahren in die Hauptstadt. Tag für Tag protestierte er vor dem Nationalpalast gegen die Unterdrückung der Presse. Niemand schenkte ihm Beachtung. Nach dem Ende seiner Protestaktion wurde der 52jährige Ignacio Mendoza vor seiner Wohnung von einem Unbekannten erschossen. Sybille Flaschka

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