Image-Film des Bundestags: Ein deutsches Sommermärchen
Umsonst, draußen und mit Happy End: Das Parlament zeigt derzeit allabendlich einen Image-Film zu deutscher Geschichte und Gegenwart.
Es ist ein bisschen wie Urlaub. Inmitten des Postkartenmotivs „Hauptstadt Berlin“ sitzt man an lauen Sommerabenden entspannt auf den Terrassen am Spreeufer, im Rücken das Reichstagsgebäude, dessen gläserne Kuppel in der Dämmerung erstrahlt. Staatstragend und doch von neuer deutscher Leichtigkeit kündend - in solchem Setting lädt der Bundestag seit Ende Juni jeden Abend zum Open-Air-Event.
“Erleben Sie einen bewegenden Film über unvergessliche Momente deutscher Geschichte“, wirbt der Einladungsflyer. Dem deutschen Volke. Eine parlamentarische Spurensuche vom Reichstag zum Bundestag heißt das Projekt, das vom Bundestagspräsidium initiiert wurde.
Die zaghafte Metapher der „Spurensuche“ führt allerdings in die Irre, und ebenso wenig geht es um deutschen Parlamentarismus. Präsentiert wird eine apodiktische Erzählung vom nationalen Ringen um Freiheit und Demokratie - mit einigen Rückschlägen, wie es sich für eine gute Story gehört, aber letztlich doch von Erfolg gekrönt.
Nationalgeschichte für Dummies
Die halbstündige Show beginnt mit einem Mix prominenter Zitate von Konrad Adenauer bis Christa Wolf: Wir stehen vor der Wahl zwischen Freiheit und Sklaverei; Mr. Gorbachev, tear down this wall; Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten; Freiheit - Freiheit - Freiheit; Wir sind das Volk! usw. Dann ertönt Peter Heppners Pop-Hymne Wir sind wir (ein Deutschlandlied): Doch ich frag / Ich frag mich wer wir sind / Wir sind wir. Wir stehn hier / Aufgeteilt, besiegt und doch / Schließlich leben wir ja noch?
Der anschließende Film lässt deutsche Nationalgeschichte für Dummies Revue passieren: „Bürgerliches Selbstbewusstsein“ erkämpfte sich im Kaiserreich ein nationales Parlament. Es folgt der „Ausbruch“ des Ersten Weltkrieges, anschließend die Weimarer Republik als zäher Kampf zwischen „Demokraten“ und „Extremisten von links und rechts“.
Es kommt, wie es in einer totalitarismustheoretischen Lesart deutscher Geschichte angesichts des grassierenden „Extremismus“ kommen musste: „Der Größenwahn Hitlers reißt Europa in den Abgrund.“ Dann liegt die Hauptstadt in Trümmern, Berlinblockade, Grundgesetz, Gründung eines demokratischen Staates und eines diktatorischen „Gegenmodells“, Niederschlagung des Aufstandes in der DDR 1953, Mauerbau.
Deutschland im Glück
Danach passiert ein Vierteljahrhundert nichts, bis in der DDR eine „Bürgerbewegung“ entsteht, die Freiheit und Einheit erkämpft. Aufnahmen von einer dramatischen Flucht durch die Spree füllen eineinhalb Minuten und nehmen damit mehr Raum ein als die gesamte Sequenz zur NS-Zeit; der Mauerfall zieht sich über zwei Minuten und ist gefühlig mit Tage wie diese von den Toten Hosen unterlegt. Im Bonner Bundestag schmettert man spontan die Nationalhymne, Wahlen in der DDR, die Volkskammer beschließt den Beitritt, große Feier, Hauptstadtentscheidung.
Die Verhüllung des Reichstagsgebäudes 1995 gerät dann vollends zum „Sommermärchen“, das - so suggeriert der Film - seither gar nicht mehr aufhören will: Politiker/innen aller Fraktionen lachen, streiten, votieren und umarmen sich auch mal, erstmals wird eine Frau zur Kanzlerin gewählt, Besucher/innen loben die tolle Atmosphäre im Reichstagsgebäude, Bundestagspräsident Norbert Lammert beschwört die politische Macht des Parlaments.
Die allabendliche Bundestags-Show setzt primär auf emotional-identitäre, mitunter auch auf sozialkundlich-didaktische Momente. Ihre Moral ist schlicht: Freiheit siegt über Diktatur, Demokratie über Totalitarismus, wir sollten dankbar, stolz und zufrieden sein, nicht verzagen und auch nicht klagen. Bedient werden dabei nationale Wohlfühl- und Identitätsbedürfnisse weit jenseits des Politischen: Hier gibt es keine Parteien mehr, hier gibt es nur noch geeinte, freie und demokratisch gestimmte Deutsche.
Nach der „Rückkehr in die Geschichte“
Der Film ist in zweierlei Hinsicht symptomatisch. Einerseits zeugt er davon, dass die symbolische „Rückkehr in die Geschichte“, die im Zuge der Vereinigung und der Hauptstadtwerdung Berlins ausgerufen wurde, als abgeschlossen gilt. Das jahrzehntelang umstrittene konservative Postulat einer „Normalisierung“ deutschen Geschichts- und Nationalgefühls scheint weitgehend durchgesetzt. Die Berliner Republik inszeniert sich in radikaler Diskontinuität zu den „dunklen Kapiteln“ deutscher Geschichte, an Stelle des Paradigmas kritischer Auseinandersetzung mit Vergangenheit tritt zunehmend nationale Selbstaffirmation.
Zum anderen ist bemerkenswert, wie beherzt der Film an der allseits diskutierten Krise der parlamentarischen Demokratie vorbei argumentiert. Während Wähler/innen sich fragen, was sie in Zeiten des permanenten Sachzwangs mit ihrer Stimme überhaupt noch ausrichten können und in den Feuilletons über „Postdemokratie“ debattiert wird, appelliert die Volksvertretung an eine nationale Gemeinschaft, die schon so manche schwere Zeit glücklich hinter sich gebracht hat.
Das ist wirklich ein bisschen wie Urlaub: Urlaub von der Realität.
Der Film ist bis zum 3. Oktober täglich bei Einbruch der Dunkelheit zu sehen. Infos und Mitschnitt unter
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